Bereits vor Beginn der Regelerklärung wollte Sarina die Höchstpunktzahl für das Spielmaterial vergeben; insgeheim wollten wir das alle. Dass es dazu aber bei keinem von uns letztendlich gekommen ist, zeigt mal wieder, dass das Spielmaterial sich auch während des Spiels erst beweisen muss. Umso schöner, dass die Höchstwertung trotzdem gezückt wurde.
Sitzfleisch beim Regellernen
Gleich vorweg: "Agra" ist alles andere als ein einsteigerfreundliches Spiel. Selten hat eine Regelerklärung so lange gedauert, selten gibt es so viele Details zu beachten wie hier. Hat man das Spiel aber - am besten zeitnah - einige Male gespielt, steigt man dann doch recht schnell dahinter, und verinnerlicht, was es alles zu beachten gilt.
In seinem Spielzug hat man zwei freiwillige Aktionen (Meditieren für Zusatzaktionen und Aufträge erfüllen) und eine Pflichtaktion (Arbeiter einsetzen). Grundlegend produziert man erstmal eine der vier Grundressourcen und kann diese dann später in wertigere Materialien umwandeln. Im Laufe des Spiels werden immer mehr Verarbeitungsgebäude gebaut, sodass mehr und mehr Warensorten verfügbar werden. Der Clou ist jedoch, dass man mithilfe der Meditationsaktionen oder mithilfe von Gunst (einer Zusatzressource, die man
bekommt, wenn ein eigener Arbeiter von einem Feld verdrängt wird) Waren in bessere Güter tauschen kann, ohne das eigentlich notwendige Gebäude zu benutzen. Hinzu kommt, dass die veränderbare Position der eigenen vier Bauern auf dem Spielertableau entscheidet, wie viele Ressourcen man aktuell gerade von einer bestimmten Sorte produziert. Da es viele verschiedene Handelsgüter gibt, werden universelle Ressourcensteine auf den jeweiligen Feldern eingesetzt.
Flotte Züge, aber massig Möglichkeiten
Möchte man seine Waren liefern, hat man auch hier die Qual der Wahl: der Großmogul möchte von jeder Warenart eine einzige, Aufträge der drei Gilden können erledigt oder Personen unten am Fluss beliefert werden. Alles bringt entsprechend Rupien, denn am Ende siegt derjenige, der sich im Laufe der Partie meisten davon angehäuft hat. Dadurch, dass das eigene Geld stets in einem Beutel ist, weiß man nie, wie viel Moneten die Gegner aktuell haben. Hat uns super gefallen und brachte Spannung in das Ganze.
Um diese grob angerissene Spielmechanik gibt es noch unzählige Stellschrauben und Details, jede davon ergibt aber Sinn und muss eben schlicht erstmal verinnerlicht werden. Es ist Geschmacksache, aber wir finden, dass die vielen Zusatzregeln die eigentliche Kernmechanik eben nicht unnötig verkomplizieren, sondern geschickt ausbauen. Dennoch sind es in Summe einfach zu viele Kleinigkeiten, was dazu führt, dass Agra definitiv nur für Expertenspieler ist.
Das Spielmaterial ist grandios: fantastische Spielsteine in endlich mal tollen Farben, hübsche Beutel, super schönes Spielbrett und das erhöhte Großmogul-Tableau mitsamt der Gildenaufträge und Übersicht ist einfach ein Traum. Die Sache hat nur einen einzigen Haken: das Spielfeld ist bzw. wird irgendwann sehr unübersichtlich. Die Produktionspfeile sind schwierig zu erkennen, die Anordnung der Warenabbildung ist unverständlicherweise nicht direkt über dem jeweiligen Gebäude und die Ikonographie ist nicht durchgängig sofort verständlich. Da dies hin und wieder für Verwirrung gesorgt hat, mussten wir beim Spielmaterial Punkte abziehen. irgendwann weiß man zwar eigentlich, was zu was umgewandelt wird, aber es kam dennoch zu unnötigen Zuordnungsfehlern, da auch die Einsetz- und Ablagefelder nicht optimal angeordnet und gekennzeichnet sind. Das ist schade, schmälert den grandiosen Gesamteindruck aber nur ein bisschen. Denn ansonsten hat uns das Spiel richtig gut gefallen, Sarina hat hier wohl überraschenderweise tatsächlich ein neues Lieblingsspiel entdeckt. Niemand von uns hätte gedacht, dass sie hier gleich zwei Mal volle Punktzahl vergibt.
+ superb illustrierter Spielplan
+ fantastisches, hochwertiges Spielmaterial
+ starker und teilweise origineller Mechanismus
+ erfordert eine Menge Hirnschmalz und
spontane Strategieanpassung
+ Balancing der Aktionen extrem gut austariert
- ... leider allerdings extrem unübersichtlich
(Pfeile zu Gebäuden, Ablage- und Einsetzfelder)
- Ikonographie nicht optimal
- Einstiegshürde ist beachtlich
- zu viele Regeldetails
(-) Gildenfelder nichts für Grobmotoriker
Chris: 9 (es ist schon etwas hart, den Überblick zu behalten, aber insgesamt trotz des Problems mit der Übersichtlichkeit ein überragendes Spiel)
Mark: 8 (richtig gutes Spiel, jedoch zu viele kleine Regeln)
Sarina: 10 (Absoluter Knaller. Tolle Atmosphäre, allein dass man immer wieder zu diesem großartig illustrierten Großmogul aufschaut, super. Mein neues Lieblingsspiel.")
Klemens: 9 (wahnsinnig tolles Spiel, fast schon zu viele Regeldetails, aber es ist so unheimlich reizvoll)
Holger: 8 (sehr gutes Spiel, Tendenz nach oben, aber Abzüge gibt es für mich wegen der Unübersichtlichkeit des Spielplans und der vielen unintuitiven Detailregeln)
Agra ist ein Schwergewicht - ein Monstrum von einem Euro-Spiel, das uns in allen Bereichen gefallen und gefordert hat. Es dauert, bis man alle Stellschrauben vom Spielmechanismus verinnerlicht hat, aber es lohnt sich.
Der Spielplan sieht toll aus, offenbart aber während des Spiels Probleme hinsichtlich der Übersichtlichkeit. Auch die vielen kleinen Detailregeln sind vielleicht eine Spur zu viel und zu konstruiert, aber das ändert nichts daran, dass "Agra" ein hervorragendes Expertenspiel ist.
Text: Chris