Verlag: Kosmos Autor: Martin Wallace Spieldauer: 100-140 Min. Spieleranzahl: 2-4
Eine Brettspielumsetzung des PC-Strategiehits Anno? Von Martin Wallace? Bei Kosmos? Ich bin kein großer Fan von Wetten, aber wäre ich einer, so hätte ich gewiss nicht mehr als meinen in die Jahre gekommenen Rasenmäher darauf gesetzt, dass diese Brettspielumsetzung etwas für mich sein könnte. Umso überraschter war ich, als mich "Anno 1800" von seinen Qualitäten überzeugte. Ja, das Spiel kann was. Sehr viel sogar. Aber es hat auch ein Problem.
Wie funktioniert das Spiel?
Ganz nach dem PC-Vorbild dreht sich in "Anno 1800" alles um unterschiedlichste Ressourcenentwicklungen, Industrien und Handel. Zu Beginn erhält jeder Spieler 4 Bauern, 3 Arbeiter und 2 Handwerker. Mit diesen produziert man die ersten Güter, wobei jeder Bevölkerungstyp unterschiedliche Waren herstellen kann. Zudem hat man Zugriff auf neun Bevölkerungskarten. Diese erfüllt man, wenn man bestimmte Dinge produziert und erhält dafür Siegpunkte und Boni. Jedes Mal, wenn man neue "Einheiten" erhält, bekommt man zudem eine entsprechende Karte. Natürlich sorgt man im Laufe des Spiels für neue Errungenschaften und neue Waren. Entweder stellt man sie selbst her, erhandelt sie von Mitspielern oder durch die Erkundung der neuen Welt. Eingesetzte Einheiten sowie Handels- und Erkundungsplättchen holt man entweder allesamt mit der Stadtfest-Aktion zurück, was einer Aussetzrunde gleichkommt. Alternativ lassen sich einzelne Einheiten aber auch mit Gold reaktivieren. Dieses erhält man, wenn ein Mitspieler handelt und eine Ware erhält, die er selbst nicht produzieren könnte.
Das eigene Tableau darf wild vollgebaut werden, dabei kann man auch aufgedruckte oder bereits gebaute Plättchen überbauen. Mit geeigneten Schiffen und deren Erkundungsplättchen können weitere Inseln angebaut werden, womit mehr Bauplatz entsteht.
Wer zuerst seine letzte Handkarte ausspielt, leitet das Ende ein und erhält Extrapunkte. Für die Endabrechnung zählen dann alle erfüllten Bürgerkarten, die fünf zufällig ausliegenden Auftragskarten, Expeditionskarten sowie übriges Gold.
Was ist das Besondere an "Anno 1800"?
Martin Wallace hat es geschafft, die Ressourcenmaschinerie clever und überraschend simpel auf ein analoges Spielerlebnis zu übertragen. Niemals hortet man Waren, sondern produziert sie mit geeigneten Arbeitertypen genau dann, wenn man sie benötigt. Das funktioniert prima und unkompliziert, somit fokussiert sich das Spiel auf die optimale Bereitstellung der passenden Arbeiter für die eigenen Ziele. Dass man neue Arbeiter sowohl aktiv einstellen, upgraden sowie als Belohnung erhalten kann, schafft eine schöne Bandbreite an Einflussmöglichkeiten.
Auch der wichtige Handel mit Mitspielern wurde schnörkellos umgesetzt. Debatten über Handelsabkommen schließen sich zwar aus, würden hier aber auch eher stören. Stattdessen kann jeder handeln, sofern er genügend Handelsmarker zur Verfügung hat. Das ist auch bitter nötig, da die Spieldauer sich dem Spielstil der Spieler anpasst und man in der Regel nicht die Zeit hat, alle Industrien selbst zu bauen. Ein schönes Element, das wunderbar funktioniert, allerdings auch Kompromisse mit sich bringt, auf die ich gleich noch eingehen werde.
Wie sehr gefällt es uns?
In den ersten Partien hat uns "Anno 1800" enorm positiv überrascht. Die Regeln sind schnell erklärt, der Spielablauf in Windeseile verinnerlicht. Dann geht das muntere Ressourcengenerieren und Tauschen auch schon los. Schnell erfüllt man die ersten einfachen Bürgerkarten und spickt mit einem Auge bereits auf schwieriger zu bauende Industrien. Da die Auftragskarten variabel ausliegen, sind die Siegpunktvorgaben zudem immer etwas anders. Das Gefühl, seine Produktions- und Handelsketten möglichst lange aufrecht zu erhalten, ohne ein Stadtfest durchzuführen, ist ziemlich befriedigend, ebenso die Erfüllung der Bürgerkarten. Stets erhält man irgendwelche Boni oder Gold. Mit letzterem lassen sich dann eingesetzte Arbeiter wieder reaktivieren, ohne direkt eine ganze Runde auszusetzen. Das Spiel stellt einen in jeder Partie vor wichtige Entscheidungen: wie viele Inseln entdecke ich? Baue ich eher Handelsschiffe oder setzte ich den Fokus auf Eroberung? Wie schnell upgrade ich meine Bevölkerung?
Entscheidend, wie viel Spaß man mit "Anno 1800" haben wird, ist auf jeden Fall die Art und Weise, wie man es spielt. Da das Spiel endet, sobald man alle Handkarten ausgespielt hat, kann man entweder gezielt darauf hinarbeiten oder man lässt die Maschinerie weiter und weiter laufen. Zu zweit haben wir mehrere Partien in 75-90 Minuten gespielt, was fantastisch war. Grübelt man zu lange, weil man etwa möglicherweise Probleme mit der Übersicht hat oder sich schlicht nicht entscheiden kann, worauf man als nächstes geht, wird es mit einer solchen Spielzeit schwierig. Klar, eine 2-Stunden-Partie wäre auch in Ordnung, aber ehrlich gesagt hat uns die kürzeren Partien wesentlich besser gefallen. Mit einigen Spielern bzw. Spielweisen kann sich die Spielzeit aber auch auf über 3 Stunden hochschrauben, was dann eher zäh werden kann.
Zu viert offenbart sich leider unserer Meinung nach die Schattenseite der Spielkomposition: "Anno 1800" leidet trotz oder gerade wegen des unkomplizierten Handels sehr an Interaktion. Man schnappt sich zwar Plättchen weg (zumindest ab drei Spielern), darüber hinaus passiert aber enorm wenig. Das ist deswegen besonders auffällig, da die Spielerzüge sehr solitär ablaufen. Immer wieder ertappe ich mich dabei, die Produktion des Mitspielers exakt zu verfolgen. Macht auch mehr Spaß, wenn ich weiß, was der andere so macht. Aber es ist auf Dauer sehr ermüdend, dem trockenen "ich baue X mit Y und Z" zuzuschauen. Erst recht, wenn zwischen meinen eigenen Spielzügen noch zwei oder drei andere Mitspieler drankommen. Das ist extrem schade, da sich gefühlt der Sweet Spot des Spiels bei drei Spielern befindet - allein da hier nicht jeder alle Plättchen bauen kann und das Handeln noch wichtiger wird. Aber so flüssig der Spielfluss ist, so ermüdend ist er auf Dauer. Was man hier macht, ist mit zwar durchaus interessant und knifflig, aber mit fortschreitender Spielzeit auch repetitiv. Daher gefällt mir "Anno 1800" zu zweit tatsächlich am besten, obwohl es auch hier im Detail mangelt. Der Spielaufbau für zwei Spieler ändert sich nicht im Vergleich zur Vollbesetzung. Von jedem Plättchen gibt es genug für alle. Selbst mit der Hausregel, dass man für bereits gebaute Plättchen ein Gold extra zahlen muss, ist mir das irgendwie zu handzahm. Positiv ist aber, dass der Handel auch zu zweit elementar wichtig bleibt. Ja, ab und an lohnt es sich auch mal, ein Plättchen zu kaufen, das der Mitspieler bereits hat. Meistens ist es aber effektiver, die Waren zu handeln. Schön umgesetzt!
Zuletzt muss ich sagen, dass wir von dem Spiel sehr angetan sind und das Spielprinzip - vor allem wenn man es als "Wettrennen mit effektiver Schwerpunktsetzung" spielt - süchtig macht. Das macht alles echt viel Spaß, demnach ist "Anno 1800" für mich spielerisch tatsächlich ein kleines Highlight. Zu meckern habe ich aber trotzdem: das Spielmaterial ist funktional, aber sicher kein Hingucker. Natürlich wäre es schöner gewesen, die Holzwürfel-Einheiten mit Meeplen zu ersetzen, aber nun ja. Etwas unschöner fallen da teilweise arg pixelige Ressourcenabbildungen auf den Inselplänen auf. Die Karten- und Plättchenqualität ist in Ordnung, atmosphärisch wäre da aber sicher mehr drin gewesen. Letztendlich also definitiv ein Kandidat fürs Spieleregal, wobei ich sagen muss, dass ich nach mehr als zehn Partien jetzt nicht mehr so große Lust auf das Spiel habe. Es ist mir auf Dauer spielerisch zu eintönig. Eine Erweiterung kommt bestimmt, da wäre ich sicherlich wieder dabei. Mal sehen, wo die Reise hingeht.
Wertungen
Chris: 7 (Hätte ich so echt nicht erwartet, richtig gutes Spiel, sofern man es "richtig" spielt und nicht zu sehr in die Länge zieht, die knackigen Partien haben mich schwer unterhalten, auf Dauer ist es mir aber wohl etwas zu eintönig)
Sarina: 8 (Süchtig machendes Spiel und wirklich gelungene Umsetzung, optisch zwar wenig reizvoll, spielerisch aber umso mehr. Auch für mich reizt es sich langsam aber etwas aus, aber ich finde es dennoch toll. Ich favorisiere das Spiel zu zweit)
Clever konstruiertes Aufbauspiel mit fluffigem Ressourcen- und Produktionsmanagement. Der unkomplizierte Handel mit Mitspielern ist ein zentrales Element; die flexible Spieldauer und der gute Spielfluss sorgen für ein launiges Kennerspiel und eine großartige Umsetzung des PC-Originals.
Ein paar kleine Löcher hat das Schiff aber: die anfangs süchtig machende Maschinerie offenbart früher oder später ihren repetitiven Kern. Produziert man vor sich hin, ohne aktiv auf das Ende zu spielen, kann sich "Anno 1800" ziehen - und die solitären Züge schmälern das Erlebnis.
Lasst Euch nicht von der wenig reizvollen Optik täuschen - "Anno 1800" ist mehr als einen Blick wert!
Text: Chris.