Verlag: Three Headed Monster Autoren: Max Salamonovic Spieldauer: 60-180 Min Spieler: 1-5
Ladies and gentlemen, darf ich präsentieren - das nächste Hype-Spiel. Ich schweige mal dezent und verrate an dieser Stelle nicht, was ich für dieses Spiel auf dem Sekundärmarkt inklusive Versand aus der Schweiz und weiteren ungeplanten Zollkosten bezahlt habe. Sei's drum, nach mehreren Verzögerungen kam "Beyond Humanity Colonies", das im Kickstarter bereits weit über 200€ gekostet hat, irgendwann endlich an und ich war gespannt, was dieses Spiel zu bieten hatte. Ist das wirklich die mit Abstand beste App-Implementierung in einem Brettspiel? Wie funktioniert die RFID-Technik, durch die Karten und Chips einfach über das Koloniemodul gelesen werden?
"Lasst uns eine Kolonie aufbauen! Und lasst mich Präsident werden"
Jeder Spieler schlüpft in die Rolle eines Managers, der am Ausbau und der Instandhaltung der Kolonie mithilft. Das Spiel bietet neben einem Solomodus einen kooperativen und einen semi-kooperativen Modus. Letzterer war bei der Entwicklung Hauptfokus, also haben wir diesen zuerst gespielt. Gemeinsam entscheiden wir uns in der App für einen Planeten und damit einen Schwierigkeitsgrad. Dann geht es schon los und die App verrät uns den aktuellen Status. Bislang steht lediglich das zentrale ARC-Modul auf der Planetenoberfläche, wir haben dreißig Vorräte (die wichtigste Ressourcenart des Spiels). Sicherheit, Zufriedenheit der Einwohner sowie Technikstatus sind prima. Aber nun ja, das wird sich ziemlich schnell ändern.
Unausweichlich werden wir die Kolonie vergrößern müssen, um langfristig überleben zu können. In jedem Spiel gibt es Baupläne für z.B. Solar- oder Kernkraftwerke, Wohnkuppeln, Brunnen, Lager, Tanks und viele andere Gebäude. Je nachdem, welches Gebäude gebaut wird, verändern sich Parameter wie Wasser- oder Stromverbrauch, Kapazität für Einwohner, Zufriedenheit oder technische Probleme. Welches Gebäude letztendlich der Kolonie hinzugefügt wird, hängt davon ab, welche Spieler die jeweiligen Bauanträge unterstützen. Hier muss man zusammenarbeiten und sich oftmals auch entgegen seines eigenen Plans für das Gemeinwohl entscheiden und bestimmte Dinge durchwinken.
Gleichzeitig versucht man aber auch durch Werbekampagnen, Erlässe und Gebäude Stimmen bei der Bevölkerung zu sammeln. Je angesehener man ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein eigener vorgeschlagener Erlass von der App bejaht wird. Hinter den Kulissen ist in die App ein neuronales Netz implementiert, das Stimmungen, Meinungen und aktuelle Gefühle tausender virtueller Bürger simuliert. Eines der großen persönlichen Ziele ist es nämlich, selbst Präsident der Kolonie zu werden, was eine beachtliche Anzahl Punkte am Spielende bringt. Hinzu kommen weitere Zielkarten, die erfüllt werden wollen und im Geheimen die eigene Strategie in gewisse Bahnen lenken.
Beeindruckende Technik, die perfekt funktioniert
Was ich ohne Einschränkung sagen kann, ist, dass "Beyond Humanity Colonies" technisch eine Meisterleistung ist. Alles funktioniert tadellos, allein schon das Scannen der Managerchips am Anfang sorgt für ein Staunen in der Runde, wenn der jeweilige Manager dann in der App erscheint. Auch die Erlässe werden einfach über das Modul gehalten und der in der Karte implementierte Chip gelesen. Die App erkennt reibungslos, was vorgeschlagen wurde, anschließend bestätigt man noch mit seinem Managerchip, wer den Erlass durchbringen möchte. Sehr cool!
Nicht minder beeindruckend sind die Modulminiaturen mit eingebauter Elektronik. Wird ein Gebäude gebaut, verbindet man es mittels einer Steckverbindung mit der bisherigen Kolonie. Sofort leuchtet es auf und blinkt grün - das Modul ist nun im Bau. Sobald es komplett fertiggestellt wurde, leuchtet es dauerhaft grün, blau sobald es upgegradet ist und rot ... nun ja, ihr wisst ja, dass rot leuchtende Sachen eher etwas Schlechtes bedeuten.
Die App selbst ist stets im Hintergrund und fungiert fast ausschließlich dazu, die aktuellen Statistiken und Parameter der Kolonie anzuzeigen. Zwischen den Runden zeigt sie an, welche Erlässe von den Bewohnern akzeptiert wurden, welcher Manager gerade am angesehensten ist oder ob ein bestimmtes Ereignis passiert. Sehr angenehme Sache. Dennoch sind nicht alle Parameter selbsterklärend, denn es wird nicht genau aufgeschlüsselt, welcher Erlass oder welches Gebäude beispielsweise bestimmte Parameter gerade beeinflussen.
Das Gameplay hakt gewaltig
Bis hierhin muss ich also ganz klar sagen, dass "Beyond Humanity Colonies" durchaus ein einzigartiges Erlebnis bietet. Käme da nicht noch der Punkt Spielmechanik, denn da zeigen sich dann doch eklatante Probleme.
Leider konnte uns der semi-kooperative Modus nicht überzeugen. Man hat seine eigenen Ziele, will selbst Präsident werden, will eigene Gebäudepläne durchbringen, eigene Erlässe spielen ... aber sorry, das macht oftmals einfach keinen Sinn. Ich muss hier vorrangig im Sinne der Kolonie spielen und kann nur wenige Entscheidungen für mich treffen. Tue ich das trotzdem oder noch schlimmer - machen das mehrere - versinkt die Kolonie schnell im Chaos und geht unter. Einerseits ist das thematisch passend und macht absolut Sinn, aber es ist spielerisch super unbefriedigend. Vor allem im Hinblick auf die Symbiose mit dem größten Problem des Spiels - der Aktionsphase.
Man hat pro Runde nur zwei Aktionen, anschließend noch eine (teure) Assistentenaktion. Was man jetzt machen kann? Nun ja, einfachste Aktionen wie 1 Credit nehmen, 1 Terranisches Gut nehmen, zwei Karten ziehen, ein Bauvorhaben unterstützen, Forschen oder eine Werbekampagne schalten. Letzteres klingt komplex, in der Praxis scannt man aber einfach nur kurz seinen Managerchip. Das ist, gelinge gesagt, höchst unspektakulär. Die Aktionen werden etwas besser, wenn bestimmte Module gebaut wurden, aber hey, dann bekomme ich eben zwei oder drei Credits. Wenn ich dann für die Kolonie spiele, da diese z.B. eben gerade Unterstützung für ein Bauvorhaben benötigt, mache ich nichts anderes als zwei Karten unter ein Baumodul zu schieben.
Beispiel für einen nicht seltenen Spielzug? Okay:
Mit der ersten Aktion nehme ich mir einen Credit (den brauche ich auch dringend, damit mein eigenes Bauvorhaben nicht am Rundenende abgeworfen wird) und ziehe anschließend zwei Karten. Eine sinnvolle Assistentenaktion kann ich nicht machen. Na gut, dann spiele ich eine Erlasskarte (die wiederum etwas kostet). Zwei Minuten später in der App: Erlass wird abgelehnt. Wow, super mies.
So eine Runde kann öfter vorkommen. Ja klar, es kommt auch darauf an, welchen Erlass ich zu welchem Zeitpunkt spielen möchte, aber es ist ja auch nicht so, dass ich zehn Möglichkeiten auf der Hand hätte. Nicht selten hatte ich fünf Karten, drei davon hätten der Kolonie geschadet (und damit Problem Nr. 1 wie oben beschrieben gefeuert), eine ist zu teuer, die andere ... tja, die wurde ja gerade abgelehnt.
Man kommt zu kaum etwas, alles ist teuer. Die Raritäten - eine schlechte Übersetzung von "Artefakten" - sind quasi Aufträge, die man sich schnappen und erfüllen kann. Diese benötigen ganze 4 Aktionen und kosten jedes Mal dasselbe. Als hätte ich nicht eh schon von allem zu wenig. Und selbst wenn ich sie erfülle, juckt mich das nicht die Bohne. Super, ich bekomme drei Waren zurück, am Spielende 2 Punkte und habe noch einen kleinen Effekt, den ich nun auslösen kann. Wenn das aufregendes Spieldesign sein soll, dann muss ich mir bald ein neues Hobby suchen.
Jetzt kommt die Diskrepanz zwischen meiner eigenen Vorstellung des Spiels und einiger anderer Meinungen. Ich habe von einigen Seiten gehört, "Beyond Humanity Colonies" sei vorrangig ein Verhandlungsspiel. Puuh, okay. Hab ich versucht, so zu spielen. Hinsichtlich der Gebäudemodule ging das noch irgendwie. Jeder hat was vorgeschlagen, wir haben diskutiert und abgewogen. Am Ende haben wir uns für ein Modul entschieden, das für unsere Kolonie aktuell am sinnvollsten erschien. Joa und nun? Wir unterstützen das jetzt, dafür macht der Erbauer des Moduls keine Werbekampagne die nächsten zwei Runden? Oder lässt uns das Feld mit dem terranischen Gut? Also Entschuldigung, aber "Beyond Humanity Colonies" bietet hier einfach viel zu wenige lukrative und sinnvolle Verhandlungsmöglichkeiten. Man darf ja noch nicht mal Ressourcen tauschen.
Mit den Fertigkeitsplättchen kann man seinen Manager ein wenig upgraden, aber diese sind teuer und ändern nichts an der Tatsache, dass die Aktionsphase für mich (und alle meine Mitspieler) langweilig war.
Trotzdem eine Empfehlung?
Wenn man meine Wertung anschaut, ist die Sache natürlich klar: nein, ich empfehle dieses Spiel aufgrund vieler Ungereimtheiten und Schwächen - vor allem für den heftigen Preis - auf keinen Fall. Dennoch war es irgendwie schon extrem cool, es mal gespielt zu haben. Wenn es also die Möglichkeit gibt, das Spiel irgendwo mitzuspielen, würde ich sagen, probiert es auf jeden Fall mal aus und schaut euch an, wie toll man Technik und analoges Brettspiel mittlerweile verknüpfen kann. Aber vor allem im Hinblick auf reizvolles Gameplay muss ich da ganz klar sagen, dass es bereits nach der dritten Partie für mich feststand, dass das Spiel wieder ausziehen wird.
Der Wiederspielreiz auf inhaltlicher Basis ist dagegen prima. Es gibt eine Menge Planeten, unterschiedliche Schwierigkeitsgrade und auf in Zukunft wird neuer Content erscheinen, sodass man hier gut aufgehoben ist.
Den kooperativen Modus habe ich anschließend auch gespielt und witzigerweise empfand ich diesen am gelungensten. Einfach weil die Zusammenarbeit hier logisch ist und keine Fremdkörper wie in der semi-kooperativen Alternative stören. Dennoch überzeugt mich auch der Koop-Modus nicht, denn letztendlich passiert mir hier einfach zu wenig. Die Aktionsphase bleibt langweilig und insgesamt passiert mir hier einfach zu wenig abseits der Beeinflussung von Statusanzeigen. Thematisch hätte man hier so viel mehr implementieren können, damit aufregendere Aktionen nötig sind.
Wertungen
Chris: Zuerst pure Faszination, dann Resignation. Die technische Umsetzung ist großartig, das Spiel dahinter aber wenig aufregend und unbefriedigend. Zudem finde ich den semi-kooperativen Modus in seiner Konzeption misslungen.
Eva L.: Die erste Partie fand ich super interessant, aber schnell hat es mich nur noch gelangweilt.
Stefan: So schade. Das Spiel hat so viel Potenzial, sieht phänomenal gut aus, aber hat einfach zu wenig interessante Entscheidungen. Es passiert nichts Aufregendes und der semi-kooperative Modus funktioniert so einfach nicht.
Mit "Beyond Humanity Colonies" hievt Three Headed Monster das Genre der App-basierten Hybridspiele definitiv auf ein neues und gleichzeitig faszinierendes Level. Doch die Faszination wich bei uns leider viel zu schnell der spielerischen Ernüchterung. Was das Spieldesign angeht, darf man hier mechanisch nicht viel erwarten. Für uns hakt es da an einigen Stellen sehr und benötigt mehr als nur ein bisschen Feinschliff.
Das ist extrem schade, da die App im Hintergrund großartig ist und unfassbar viel Potenzial zeigt. Doch spielmechanisch ist das für ein Ressourcenmanagementspiel mit Workerplacement für uns zu langweilig, für ein Verhandlungsspiel fehlt es an einem interessanten Gerüst an Verhandlungsmöglichkeiten. Mitspielen? Auf jeden Fall! Kaufen? Grenzwertig. Nur, wenn man mit der reduzierten Mechanik leben kann.
Text: Chris
08.12.2022