Verlag: Lucky Duck Games   Autor: Michał Gołębiowski, Filip Miłuński   Spieldauer: 90-150 Min 

Spieler: 1-3   Preis: 49€ (Grundspiel)

Unterhaltsamer Zufall

Schon vor der ersten Partie "Destinies" war mir klar, dass der Eurospieler in mir hier vorher in den Urlaub fahren muss und selbst meine Amitrash-Gene nicht ausreichen werden, um dieses Spiel zu mögen. Ich bin kein Rollenspieler, aber ich mag spannende Fantasy-Geschichten. Und ja, ich kann mir durchaus vorstellen, an einem Spieleabend weniger strategische und taktische Entscheidungen zu treffen als sonst und mich dafür auf ein packendes Storyerlebnis einzulassen. Damit steht und fällt mein Urteil über "Destinies". Ist das Ganze spannend und atmosphärisch? Wie gut ist die App? Macht mir sowas Spaß? Wie schaut's mit dem Wiederspielwert aus? All diese Fragen kläre ich im Folgenden.

Überzeugende Atmosphäre

Das Wichtigste bei solch einem Spiel ist die Atmosphäre, die es vermittelt. Dadurch entsteht Immersion, die einen ins Spielgeschehen hineinzieht. Und hier sind wir auch schon bei der positiven Überraschung, denn "Destinies" schafft es ziemlich gut, die Spielwelt glaubhaft zu inszenieren. Das fängt an mit düsteren Settings, atmosphärischer Sounduntermalung beim Besuchen von Orten, einer guten Optik und einer wendungsreichen Story. Letztere ist für Brettspielverhältnisse gelungen und interessant, letztendlich aber dann auch nichts Weltbewegendes. Hier geht es mir natürlich nicht um den Umfang und damit Vergleichen zu Story-Monstern wie "Tainted Grail" oder "Etherfields" (die ohnehin kein gutes Storytelling meiner Meinung nach leisten). Vielmehr haben wir es in "Destinies" eher mit Kurzgeschichten zu tun, die das machen, was sie sollen - über eine Spielzeit von etwa zwei Stunden gut zu unterhalten. Das schafft das Spiel, auch wenn ich mir hier noch etwas mehr Mut oder Originalität gewünscht hätte.

 

Was ist DEIN Schicksal?

Hat man sich für einen Charakter entschieden, liest man sich im Geheimen die beiden Schicksalspfade auf der Rückseite der Charakterkarte durch. Diese gilt es zu erfüllen bzw. folgt man hier in der Regel erstmal einem der beiden Pfade. Da auch andere Mitspieler ähnliche Ziele haben können und einem nicht selten in die Suppe spucken, kann man jederzeit auch den anderen Pfad verfolgen, um sein Finale zu eröffnen. Denn derjenige, der dies zuerst tut und erfolgreich bestreitet, ist der Gewinner des Szenarios. Und da kommen wir schon zum ersten Problem des Spiels: habe ich ein Szenario einmal gespielt, bin ich im Vorteil. Komplettierer mögen trotzdem noch Gefallen daran finden, auch die letzte Ecke des Schauplatzes und den letzte Storyschnipsel zu erleben - für mich ist das nichts. Heißt also, dass das Grundspiel für mich genau fünf Abenteuer bietet, die erste bereits spielbare Erweiterung drei weitere.

Nette Entscheidungen, viel Zufall

Spielerisch halten sich die Möglichkeiten ziemlich in Grenzen: Bewegen, neue Landschaftsfelder aufdecken, Orte erkunden, Proben über Würfel ablegen, Fähigkeiten mit Erfahrungspunkten verbessern und Karten scannen. Das ist alles nichts Neues, aber immerhin weist das Probensystem kleine Feinheiten auf, die erfrischend wirken. Zwei große Würfel wirft man immer, alternativ kann man bis zu drei kleine Würfel dazunehmen, um die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges zu erhöhen. Letztere werden dann aber inaktiv und regenerieren sich nur Stück für Stück wieder. Würfle ich also mit meinen Würfeln bei einer Stärkeprobe z.B. eine Summe von 9, erhalte ich jetzt so viele Erfolge, wie ich Erfahrungsscheiben zwischen 1 und 9 habe. Diese Scheiben, die je nach Charakter an Anzahl und Anfangsposition unterschiedlich, lassen sich durch Erfahrungspunkte nach links in Richtung der 1 verschieben, um die Wahrscheinlichkeit weiter zu erhöhen. Es kommt natürlich auch vor, dass durch bestimmte Entscheidungen oder Resultate gewisse Fähigkeiten schwächer werden. Ein wirklich stimmiges, kleines Spielchen, das durchaus Spaß macht.

 

Quasi omnipräsent ist "in Destinies" der Zufall, denn der spielt hier nahezu überall mit. Soeben erfahre ich, dass ich zum Friedhof muss. Okay, wurde noch nicht aufgedeckt. Dadurch, dass alle Infos - egal, wer sie herausfindet - für alle bestimmt sind, erkundet mein Mitspieler eine der beiden letzten Ecken und hat den richtigen Riecher - der Friedhof. Er schafft die Proben, klaut meinen Gegenstand und nun ja, ich muss auf eine Alternative hoffen oder meinen Plan überdenken. Dieses System hat Vorteil und Nachteil zugleich, denn einerseits sind immer alle Spieler involviert, was ja super ist, andererseits kann das auch ein wenig für Frust sorgen. Bei uns kam es mehrmals vor, dass ein Spieler mehrfach hintereinander bestimmte Dinge entdeckt hat, eine Probe geschafft hat und dann gescheitert ist. Der nächste Spieler - in dieser Partie auch "der Abstauber" genannt, besucht direkt danach den Ort und snackt sich durch das Erfüllen der letzten Probe den Gegenstand. Nun ja, nicht so geil. 

 

Auch sonst weiß man selten, was einen erwartet. Gut ist, dass man an den Orten mehrere Handlungsmöglichkeiten hat und davon meistens auch mehrere davon auswählen kann, sofern man sie sich nicht selbst verbaut. Trotzdem muss man erstmal antizipieren, wie schwierig die nächste Probe sein wird. Was dann am Ende dabei rauskommt, ist höchst zufällig. Das ist per se nichts Schlechtes, denn es passt natürlich zu einem Abenteuerspiel. Trotzdem spielen wir hier ein kompetitives Brettspiel, das unter gewissen Umständen dafür sorgen kann, dass ein Spieler etwas Frust ansetzt, wenn er ein weiteres Mal einfach nur die falsche Entscheidung trifft, während anderen alles in den Schoß fällt. Das muss man dann selbst für sich entscheiden, wie schwer sowas für die eigene Spielgruppe wiegt. Für uns war es nicht super schlimm, da wir uns auf eine lockere Unterhaltung mit Zufall eingestellt hatten, aber in gewissen Situationen auch nicht völlig egal, weil es sich einfach falsch anfühlt, wenn jemand immer den Lohn kassiert, den ein anderer verdient hätte. Es ist dann am Ende des Tages schon eine klare spielmechanische Schwäche, wenn es Partien gibt, in denen man einfach nicht weiß, was man tun soll, da alles höchst zufällig ist. Wenn die Mitspieler dann stetig vorankommen und man selbst nur rumdümpelt, nagt das natürlich etwas an der Motivation.

 

App mit großem Potenzial und aktuell Schwächen im Detail

Die App, die für das Spiel natürlich unabdingbar ist, hat uns in Summe überzeugt. Sie funktioniert einwandfrei, lässt sich prima bedienen. Leider fehlt unverständlicherweise ein "Zurück"-Button, sollte man sich doch mal verklickt haben. Übersetzungsfehler gibt es einige und das wird sicherlich viele extrem verärgern. Im Endeffekt hat uns keiner davon so rausgebracht, dass wir nicht wussten, was zu tun war, aber dennoch kann es natürlich nicht sein, dass die Übersetzung teilweise schlampig umgesetzt wurde. 

Extrem einsteigerfreundlich

Was "Destinies" richtig gut macht, ist die extrem niedrige Einstiegshürde. Die Regeln sind super schnell erklärt, das Spielsystem eingängig und trotz App läuft alles super einfach und reibungslos ab. Man ist immer involviert und wartet gespannt auf seinen nächsten Zug, dabei entsteht keine spürbare Downtime. Natürlich kommt es vor, dass man auch mal einen extrem kurzen Zug hat und mal etwas länger warten muss, aber da die Geschichte das Spiel trägt und vorantreibt, passt das alles. Die Mechanik ordnet sich also deutlich unter und das könnte dem ein oder anderen natürlich missfallen. Wer nicht entdecken will und sich auf die Story einlassen kann, ist hier sehr wahrscheinlich beim falschen Spiel. Die Angabe der Spielzeit passt ausnahmsweise auch endlich mal wieder; die Szenarien sind umfangreich genug, um für gute zwei Stunden zu unterhalten.

 

Ist das noch ein Brettspiel?

 

Einige verärgerte Zungen behaupten, man brauche das Spielfeld und die Miniaturen gar nicht, da man eh alles am Bildschirm sieht. Würfel, Spielertableau und Karten reichen theoretisch tatsächlich und vor allem im Solo-Spiel wäre das auch für mich vielleicht sogar eine Alternative, aber zu zweit oder zu dritt auf keinen Fall. Wir finden, dass es "Destinies" den Spagat zwischen Brettspiel und digitaler Unterhaltung gut meistert und immer noch Brettspielfeeling versprüht, finden aber auch, dass sich das Ganze an der Grenze der sinnvollen Symbiose von analog und digital befindet. Man reicht das Tablet schon sehr oft rum (bei uns hat es immer einer bedient und vorgelesen) und schaut darauf, aber durch die Karten, das Würfeln und das Spielertableau hält sich das noch die Waage. Viel mehr sollte es auch nicht sein, denn ansonsten kann man wirklich gleich ein digitales Spiel spielen.

Entdecker- oder Herausforderungsmodus?

Ehrlich gesagt habe ich den Herausforderungsmodus, bei dem man unter Zeitdruck steht und bestimmte Ereignisse all zu viele Irrwege nicht erlauben, nur kurz angespielt. Aber die Entscheidung ist eh ausschließlich für Solospieler relevant und ich spiele selten solo. Würde ich "Destinies" alleine spielen, dann wahrscheinlich den Entdeckermodus, bei dem man in aller Ruhe das Szenario und all seine Details erforschen kann. Ich favorisiere ganz klar das normale Spiel zu zweit oder am besten zu dritt.


Wertungen

Chris: 7 (wirklich schöne, lockere Unterhaltung mit Abenteuer-Atmosphäre und nettem Skillsystem, allerdings muss man schon wissen, auf was für ein Zufallsfestival man sich hier einlässt, in Summe finde ich die Abenteuer aber dann doch ziemlich unterhaltsam und spaßig, gewinnen oder verlieren ist hier Nebensache)

Klemens: 6 (ich bin durch und durch Eurospieler und kann mit solchen Spielen ohnehin eher wenig anfangen, aber dennoch fand ich Destinies das bislang beste Brettspiel mit App)

Simon: 7 (einsteigerfreundlich, unterhaltsam, spielerisch nett, aber extrem viel Zufall. Würde aber schon weitere Abenteuer spielen, die Mitspieler und die Stimmung müssen halt passen)


FAZIT:

Letztendlich hat uns "Destinies" ziemlich gut unterhalten und bietet für uns im Genre der storylastigen Brettspiel-App-Symbiosen sogar das bis dato beste Gesamtpaket - atmosphärisch gut und immersiv. Spielerisch dafür wie erwartet recht seicht und sehr zufällig. Das reicht dann am Ende des Tages für lockere, gesellige Unterhaltung in Episodenformat, aber nicht für ein Highlight. Der Wiederspielwert hält sich dann leider (für uns) auch in Grenzen.

  

Text: Chris

28.05.2021