Hitzige Insel-Machtkämpfe

Stefan Feld ist ein hervorragender Spieleautor. Er ist aber nicht der Beste, wenn es darum geht, ein dichtes, thematisch überzeugendes oder gar atmosphärisches Brettspiel zu kreieren. Nicht selten wird sein beliebtes "Feldsalat"-Siegpunktesammeln negativ konnotiert. Eine clevere, oft auch originelle, perfekt durchdachte Spielmechanik steht bei seinen Werken in der Regel an erster Stelle und ja, meistens gibt es für alles Mögliche Siegpunkte. Ich mag nicht alle seine Spiele (La Isla, Speicherstadt, Orakel von Delphi), doch "AquaSphere", "BoraBora", "Im Jahr des Drachen" und "Burgen von Burgund" werden mein Spieleregal wohl nie verlassen. Sein 2010 erschienenes "Luna" hatte ich oft auf dem Radar, letztendlich aber nie gekauft. Auch die Kickstarter-Kampagne zur neuen Deluxified-Ausgabe habe ich zwar verfolgt, am Ende aber wieder nicht mitgemacht. Nun ist "Luna" doch hier eingezogen, das Schicksal wollte es anscheinend so, und was soll ich sagen - so richtig fassen konnten wir es nicht, was da bei uns auf dem Spieletisch abging. 

 

 

Wie funktioniert das Spiel?

Sieben Inseln werden um die Tempelinsel in der Spielmitte ausgelegt. Um mit einem Priester ins Tempelinnere zu gelangen, müssen diese zunächst auf begrenzt verfügbare Wegesplättchen eingesetzt und anschließend auf das dazugehörige Feld im Tempel versetzt werden. Dabei lassen sich ungeschützte, gegnerische Priester vertreiben, die auf einem Feld mit geringerer Zahl stehen.

 

Doch Kern des Spiels sind die Aktionen auf den Inseln bzw. die Bewegung dorthin. Hat man zunächst je zwei Priester auf fünf Inseln und auf einer eine Kultstätte, lassen sich weitere hinzu missionieren und frei verteilen. Grundsätzlich hat jeder Spieler in seinem Zug eine Aktion, die Vielfalt derer ist allerdings beachtlich. Indem man aktive Priester von der Insel stellt, sammelt man wertvolle Gunstplättchen, baut weitere Kultstätten, vertreibt den Abtrünnigen, der von Insel zu Insel zieht oder siedelt Priester auf andere Inseln um. Außerdem bewegen sich zwei weitere Charaktere - die Mondpriesterin und der Baumeister umher. Erstere belohnt am Rundenende mit Siegpunkten, der Baumeister erreichtet nur an seiner jeweiligen Position neue Kultstätte für die Spieler.

Dadurch, dass sie jede Runde eine bestimmte Anzahl an Feldern weiterrücken, tauchen sie auf jeder Insel einmal auf.

 

 

Setzt man Priester auf die Wegesplättchen um den Tempel, um mit diesen ins Innere zu gelangen, ergattert man so zwar Siegpunkte, doch die verwendeten Priester sind erstmal nicht mehr für Inselaktionen verfügbar. Nur wenn man vertrieben wird, lassen sich solche wieder einsetzen. 

 

Eine Runde endet, sobald die Spieler insgesamt vier Mal gepasst haben. Dann erfolgt eine Zwischenwertung, bei der es Punkte für Mehrheiten aktiver Novizen auf der aktuellen Insel der Mondpriesterin sowie für besetzte Felder im Tempel gibt. Aktive und passive Novizen beim Abtrünnigen sorgen dagegen für Punktabzug. 

 

Weitere Punkte gibt es bereits während der Aktionen und zwar jedes Mal, wenn ein Buchplättchen benutzt oder ein Tempelfeld besetzt wird. Letzteres ist umso wertvoller, je früher im Spiel dies passiert. Und für jeden vertriebenen Mitspielernovizen gibt es noch mal einen Extrapunkt. Nach der sechsten Runde endet "Luna" mit einer Abschlusswertung, bei der die errichteten Kultstätten sowie die erreichte Position im Rat noch einmal Einflusspunkte liefern. Wer dann davon die meisten hat, gewinnt das Spiel und darf mit seinem Orden die künftige Priesterin stellen.

Was ist das Besondere an "Luna"?

Die Deluxified-Edition von "Luna" sticht natürlich mit optisch sehr ansprechendem Spielmaterial heraus - von bedruckten Holzmeeples und Ressourcen bis zu Double-Layer-Inseln, alles schaut und fühlt sich extrem gut an. 

 

Besonders hoch ist bei diesem Spiel die Spielerinteraktion, denn wo man hinsieht, kommt man sich in die Quere. Ständig schaut man, was die anderen machen. Trotz der vielen Aktionsmöglichkeiten bleibt das Ganze aber stets übersichtlich und kontrollierbar. Der Spielfluss ist durch schnelle Züge prima, Grübler und Optimierfreaks können hier aber ganz in ihrem Element sein und die Downtime nach oben kurbeln.

 

Die Große Stärke des Spiels ist tatsächlich die Komplexität, die sich hinter den einzelnen, unspektakulär erscheinenden Aktionen versteckt. Hier kommt alles auf gutes Timing, Übersicht und clevere Einfälle an.

 Wie sehr gefällt es uns?

"Luna" hat etwas geschafft, was nicht viele Spiele schaffen - es hat für euphorische Begeisterung gesorgt. Schon während der ersten Partie waren wir völlig von der großartigen Spielkonzeption überwältigt, höchst angefixt und mit vollem Enthusiasmus dabei. Das ging sogar so weit, dass wir immer wieder laut losgelacht haben, wenn einer von uns die aktuelle Spielsituation "analysiert" hat, natürlich offen für alle, Chancen und Risiken seines nächsten Zuges abgewogen hat und den anderen mit naivem Charme ihre weiteren Pläne entlocken wollte. Selten hatten wir so großen Spaß daran, über Züge zu diskutieren, ohne das auch nur einer im Entferntesten darüber genervt war. Das alles, was in "Luna" passiert, ist unfassbar spannend und interessant, dass es eine wahre Freude ist. Wir konnten teilweise kaum glauben, wie interaktiv dieses Spiel ist

 

Das Spiel bietet nahezu minütlich interessante Züge, die alle Spieler gebannt verfolgen, denn jede einzelne Aktion kann Auswirkungen auf einen selbst haben. Vertreibt irgendjemand den Verächteten? Oder machen sich alle im letzten Moment aus dem Staub? Wer hat noch ein Segelboot? Ob er sogar ohne reist und seine Priester inaktiv setzt? Was ist mit meinem reservierten, hohen Wegesplättchen? In den Tempel setzen oder doch noch warten, um die anderen zu verdrängen? Wo geht der Baumeister nächste Runde nochmal ... verdammt, die Mondpriesterin steht ja DA! Herrlich, was hier im Kopf abgeht und vor welche Probleme das Spiel einen stellt. 

 

Die Regeln sind nahezu perfekt geschrieben, großes Lob. Hier bleibt keine Frage offen. Auch die Spielerhilfen sind absolut top.

 

Noch ein Wort zum zugegeben seltsamen Thema: Immer wieder habe ich gelesen, dass Leute dem Spiel keine Chance geben, da sie das Thema abschreckt. Die Begründung: wer will schon eine Mondpriesterin werden? Ich kann dazu nur sagen, dass ich das für einen großen Fehler halte. Ich liebe thematisch überzeugende Spiele und  Mondpriesterinnen sind jetzt wahrlich auch nichts, womit ich etwas anfangen kann. Aber tatsächlich kommt auch bei diesem Feld-Spiel das Thema spielerisch überhaupt nicht durch, außer der Optik erinnert hier gar nichts daran, dass man gerade sein Bestes gibt, die nächste Mondpriesterin zu werden. Ehrlich ... das ist hier so dermaßen egal. Stefan Feld liefert hier aber ein konzeptionell fantastisches Spiel ab, das in seiner Spielmechanik originell, fesselnd, spannend und enorm spaßig ist. "Luna" aufgrund des Themas zu verteufeln, ist ein fataler Fehler, denn dieses Spiel ist für mich ein Meisterwerk und damit Stefan Felds bis dato allerbestes Spiel.

 

Wertungen

Chris: 8 (Großartiges, sehr originelles Spiel mit fantastischen Kniffen und Zwängen)

Sarina: 9 (Richtig richtig gutes Spiel. Hat mich total überzeugt, extrem spannend, knifflig, optisch toll und super gut durchdacht. Ich liebe es!

Klemens: 9 (Großartig! Ein Spiel für meine kleine Raritäten-Sammlung, das brauche ich auch. Und das heißt was. Hammer gutes Spiel, Stefan Feld hat es echt drauf!)

Holger: 8 (Klasse Spiel mit tollen, erfrischenden Mechanismen, obwohl das Original schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Besonders gut gelungen finde ich das Einleiten der Rundenenden durch das Ausblasen der Kerzen. Das Thema ist zwar absolut unthematisch - trotzdem finde ich das übergestülpte Thema gelungen, da es total unverbraucht ist)

FAZIT:

Holla, die Mondpriesterin! Was bin ich froh, diesem Spiel nach etwa zehn Jahren doch noch eine Chance gegeben zu haben. "Luna" ist einfach mal das bis dato beste Stefan Feld-Spiel und katapultiert sich durch seine abnormal hohe Interaktion, dem tollen Material und der völlig glücksbefreiten, perfekt durchdachten Spielmechanik in unseren Olymp der Meisterwerke.

 

Text: Chris