Verlag: Queen Games   Autor: Stefan Feld   Spieldauer: 120 Min    Spieleranzahl: 2-4

Stefan Felds Meisterwerk?

Mit "Marrakesh" bietet Queen Games in ihrer City Collection neben drei Neuauflagen bekannter Feld-Klassiker auch ein brandneues Spiel aus der Feder des Erfolgsautors aus Karlsruhe. Wer uns kennt, weiß, dass Holger, Sarina und auch ich fast alle Feld-Spiele mögen, einige finden wir sogar herausragend (Luna, Burgen von Burgund, Aquasphere). Sehr gespannt waren wir also natürlich auf "Marrakesh", auch weil Stefan Feld dieses Spiel selbst als sein vielleicht bestes Spiel bezeichnet, da er sich hier erstmalig völlig austoben konnte. Im Interview mit ihm auf der SPIEL´22 sagte mir Stefan Feld, dass er seine eigenen Spiele nach der Prototypen-Arbeit meist nur noch einmal als finale Version spiele, sich anschließend aber wieder Neuem widme. Ausnahme hier sei jedoch  "Marrakesh", das er weiterhin äußerst gerne mit seiner Frau spiele, da es so unfassbar viele Gewinnstrategien gäbe. Klingt hervorragend. Selbstverständlich habe ich mir dann auch gleich die Deluxe-Ausgabe geschnappt und diese so schnell es ging auf den Tisch gebracht.

Feldsalat erster Güte

Erwartungsgemäß passiert in "Marrakesh" nichts großartig Thematisches, das Spiel ist durch und durch mechanischer Punktesalat. Soweit so gut, was macht das Spiel jetzt besonders? An dieser Stelle muss ich sagen, dass Feld gleich auf mehreren Ebenen frische Impulse setzt. Der Würfelturm sorgt dafür, dass nie ganz klar ist, wie viele Keshis rausfallen und in der anschließenden Draft-Phase eingesammelt werden können. Es gibt klassische Punkteplättchen für das Spielende, allerdings müssen diese hier erst offenbart und anschließend aktiviert werden - niemand weiß erstmal, was da überhaupt auf seinem Tableau liegt. Auch die gängige Ernährungsphase am Ende jeder Runde ist nichts Neues, aber in "Marrakesh" darf man sich seine drei zufälligen Plättchen anschauen und jede Runde frei auswählen, welche Kosten auf einen zukommen. Dass Ortsaktionen stärker werden, umso mehr Arbeiter (oder hier eben Keshis) darauf stehen, kennt man auch schon, allerdings haut Feld hier voll auf die Tube, denn in fast jeden Bereich passen 9 Keshis und man kann sich vorstellen, wie heftig eine solche vollbesetzte Aktion ist. Ganz toll kam in unseren Spielrunden die Bonusverbindungen zwischen den beiden Tempeln an.

Auch die Verzahnung ist mal wieder unglaublich gut gelungen. Alles greift super ineinander, mit den richtigen Plättchen lassen sich tolle Kombos erzeugen und manche Aktionen explodieren förmlich. Generell ist "Marrakesh", ähnlich wie "Bitoku", ein sehr belohnendes Spiel - überall bekommt man Boni und ständig hat man die Qual der Wahl. 

 

Die Wahrheit liegt wie immer auf dem Tisch

Kommen wir nun zum wichtigsten Punkt, dem Spielspaß in unserer Runde. Konnte das Spiel voll bei uns einschlagen? Diese Frage muss ich erstmal mit einem klaren Nein beantworten. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zunächst einmal hatten Holger und Simon ein Problem mit dem Zufall des Würfelturms. Vor allem Holger traf es gleich mehrfach hart, da irgendwie immer der Spieler vor ihm den letzten Keshi bekam. Diskutiert haben wir dann über die Notwendigkeit dieses Turms und ob es nicht besser wäre, ohne diesen zu spielen. Ich persönlich mag die Unberechenbarkeit dieses Spielelements, kann aber verstehen, dass es ärgerlich ist, wenn man mehrfach weniger Keshis als die Mitspieler bekommt. 

 

Des Weiteren ist das Spiel natürlich ziemlich kopflastig und ein gefundenes Fressen für Grübler:

 

Welche Keshis nehme ich für die Bestimmung der Aktionsfelder? Auf welche Keshis spekuliere ich diese Runde? Was ist zwingend notwendig? Geht auch das? Wenn ich irgendwie einen rosafarbigen Keshi bekomme, könnte ich hier verstärken, das Rad dreht sich dahin, geil ... das wäre ja mega! Aber ich brauche ja auch noch dieses Plättchen. Hmm, der nächste Bonus auf der weißen Tempelleiste winkt auch. Herrje, was mache ich jetzt bloß? Datteln oder Wasser? 

 

Nicht falsch verstehen, ich mag das. Sogar super gerne. Aber trotzdem ist "Marrakesh" um ehrlich zu sein kein wirklich geschmeidiges Spiel. Es ist zwar deutlich zugänglicher und einfacher zu spielen, als man anfangs denkt, wenn einen die quietschbunte Welle zu überrollen droht. Aber "smooth" ist es nicht, auch wenn es hin und wieder recht schnelle Züge gibt. 

Was ist daran jetzt "Deluxe"?

Okay, jetzt kommen wir zum unangenehmen Teil: ich habe für dieses Spiel auf der Messe 150€ gezahlt. Heftig, oder? Naja, ist halt die Deluxe Ausgabe. So wie ich mitbekommen habe, soll die künftige Retail-Fassung auch über 100€ kosten und die Deluxe noch eine ganze Ecke mehr als auf der Messe. Ganz ehrlich: Das ist ein Witz! Was man hier für sein Geld materialtechnisch bekommt, ist eine Katastrophe. Ja wow, es gibt in der "Deluxe"-Ausgabe ein paar bedruckte Meeple, ein Schiff und die Häuser. Sorry, aber auf dem Spielfeld ist auf dem vorgesehenen Ort nicht einmal genug Platz, um alle Häuser anständig hinzustellen. Und was bitte soll dieses dämliche Kamel? Gab es keine  Möglichkeit, irgendwo eine anständige Rundenanzeige zu integrieren? Die exklusiven Wasser- und Dattelressourcen aus bedrucktem Holz reißen da auch nicht mehr viel raus. Denn wenn man ehrlich ist, schaut das alles optisch eher aus wie ein Spiel aus 2005. Von der Farbgebung passt zwar alles, aber designtechnisch ist das absolut 08/15 und nichts Besonderes. 

 

Wir hatten jedenfalls zu keiner Zeit das Gefühl, eine "Deluxe"-Ausgabe zu spielen. Ehrlich gesagt finden wir es bedenklich, dass Queen Games mit ihrer City-Collection dermaßen reinhaut, als wären ihre Spiele der City-Collection Qualitätsmonster. Im Gegensatz zu Eagle-Gryphon-Lacerda-Spielen, die deutlich stilsicherer und wesentlich hochwertiger daherkommen, ist das hier bestenfalls Standardware. Double-Layer-Boards sind heutzutage fast schon Standard und "Marrakesh" ist im Hinblich auf den Preis für mich fast schon ein Skandal. Hab ich schon die Sichtschirme erwähnt? Auf die klitzeklein die Endwertung und die Aktionsreihenfolge gedruckt sind? Sorry, aber entweder ich habe einen richtigen Sichtschirm oder eine ordentliche Spielerhilfe. Das ist ein schlechter Witz. Selbst die mächtige Metallmünze, siehe oben auf dem Bild, fühlt sich billig an. Nee, sorry.

 

Und die Münzen, um Himmels Willen. Miese Pappmünzen. Klar, für die Metallmünzen will Queen Games noch mehr Geld. Leute, lasst euch bloß nicht abzocken! Jetzt komme ich zu meinem großen Dilemma: ich mag "Marrakesh" als Spiel total gerne. Ist es für mich Stefan Felds bisher bestes Spiel? Weiß nicht, gefühlt finde ich "Burgen von Burgund" noch brillanter, aber es ist nahe dran. Aber kann ich dieses tolle Spiel guten Gewissens für diesen unverschämt hohen Preis empfehlen? Nein, kann ich nicht. 


Wertungen

Chris: Wirklich tolles Spiel, ein klassischer Feld mit einigen frischen Ideen. Man merkt, dass der Autor sich hier austoben durfte; Marrakesh macht mir richtig viel Spaß. Enttäuscht bin ich von den Komponenten und der Optik für diesen Preis. Die Zufallskomponente Turm mag ich, zu bemängeln habe ich spielerisch nur die etwas grübelanfällige und verkopfte Mechanik

 

 

Holger: Bin mir noch nicht sicher, wie sehr ich das Spiel mag. Es hat coole Elemente, aber der Funke ist irgendwie noch nicht übergesprungen. Mag auch an der wenig überzeugenden Optik liegen, die sich nicht großartig von den viel gescholtenen Alea Titeln unterscheidet. Für den Preis geht das gar nicht!

Simon: Ein bunter Blumenstrauß an möglichen Aktionen, die alle unterschiedliche Auswirkungen auf Punkte haben. Sehr grübellastig, teilweise hohe Downtime, aber durch den Glücksfaktor nicht komplett ausrechenbar. Mich hat es nicht umgehauen - im Hinblick auf Preis-Leistung ehrlich gesagt eine Frechheit.

 

 

Sarina: Die zwei Tempelleisten mit den Boni sind super, auch die grundsätzliche Offenheit des Spiels, da man mit enorm vielen unterschiedlichen Möglichkeiten gewinnen kann. Optik so naja und trotz aller cooler Ideen mag ich es weniger, wenn man die meiste Zeit solitär vor sich hin grübelt. Ja, man schnappt sich die Keshis gegenseitig weg, ansonsten ist man aber nur mit seinem eigenen Tableau beschäftigt.

FAZIT:

Für mich ist "Marrakesh" neben "Burgund von Burgund" Felds bestes Spiel, meine Mitspieler sehen das anders. Fakt ist, dass einige Elemente in "Marrakesh" Geschmacksache sind und der persönliche Spielspaß stark davon abhängt, ob man mit eben diesen Aspekten seine Freude hat. Spielerisch in Summe aber definitiv ein höchst interessantes Spiel.

 

Die Preispolitik von Queen Games grenzt aber an Unverschämtheit. Es steht zwar "Deluxe" drauf, aber im Vergleich mit Konkurrenztiteln ist hier kein Deluxe drin. Kleinere redaktionelle Patzer, durchschnittliche Materialqualität und 08/15 Illustrationen sorgen dafür, dass man sich durchaus veräppelt vorkommt.

 

Resumee: Wenn man nicht weiß, was "Marrakesh" gekostet hat, kann man seine wahre Freude damit haben. Im Bewusstsein des heftigen Preises kann man aber eigentlich nur mit dem Kopf schütteln und darf als Gesamtpaket keine Empfehlung aussprechen. Sorry, Queen Games, aber da habt ihr einfach den Vogel abgeschossen. 

 

Text: Chris

14.10.2022