Verlag: Osprey Games Autor: Fabio Lopiano Spieldauer: 90 Min Spieleranzahl: 1-4
Wie wichtig doch schöne Cover sind! Einmal zufällig gesehen, kurz informiert und zack - im Warenkorb. Okay, nach dem Blick auf den
Autor - Fabio Lopiano ("Ragusa") - und den Grafiker Ian O´Toole war mir schon klar, dass da nichts ganz Schlechtes kommt. Aber wie viel wirklich in "Merv" steckt, war
natürlich erst einmal eine Überraschungspille. Namhaftes Placebo ohne Inhalt oder ein Volltreffer?
Wie funktioniert das Spiel?
Eine Partie "Merv" verläuft über 3 Runden. In einer Runde bewegt jeder Spieler seinen Meeple genau vier Mal und wandert dabei um die Stadt herum. Eines von vier Felder wird so besetzt und der Spieler wählt ein Gebäudeplättchen in genau dieser Spalte bzw. Reihe. Steht auf dem Plättchen noch kein Gebäude, setzt der Spieler ein eigenes darauf. Man kann allerdings auch problemlos ein von einem Mitspieler "bewohntes" Plättchen aktivieren. Wichtig ist Folgendes: Die Hausfarbe des ausgewählten Plättchens aktiviert alle Häuser derselben Farbe in dieser Reihe oder Spalte und alle Häuser generieren somit für den aktiven Spieler die abgebildete Ressourcen. Beim Aktivieren eines gegnerischen Hauses erhält der Besitzer ebenfalls etwas.
Hat man die Ressourcen erhalten, wählt man nun eine von drei Aktionen: die abgebildete Ortsaktion des Plättchens, einen Einflusspunkt oder das Entsenden eines Wächters auf ein beliebiges Gebäude.
Über die Ortsaktionen auf den Plättchen kann man auf einer Fortschrittsleiste voranschreiten, um Upgrades und Boni zu erhalten. Außerdem kann man Warenkarten kaufen, deren Kombination am Spielende Siegpunkte bringen. Ausgehend von der Stadt Merv kann man mit acht umliegenden Städten Luxusgüter handeln oder im Palast seine Arbeiter unterbringen, um für bestimmte Dinge Siegpunkte bei den Zwischenwertungen zu erhalten.
Je nachdem, welches der vier möglichen Felder man mit seinem Meeple auswählt, bestimmt dieses die Reihenfolge der nächsten Aktion: Platziere ich mich ganz vorne, bin ich im nächsten Zug als letztes an der Reihe. Mit Kamelen lässt sich diese Reihenfolge allerdings manipulieren. Auch beim Kauf von Warenkarten oder beim Handel mit den Städten erhöhen Kamele die Reichweite und stellen somit ein wertvolles Gut dar.
Nach der zweiten und dritten Spielrunde wird die Stadt Merv dann von Mongolen angegriffen. Die Angreifer nähern sich aus jeder Himmelsrichtung und rauben auf jeder Seite die ersten zwei Plättchen aus. Zahlt man dann nicht die entsprechende Ressource oder ist durch Wächter (egal von welchem Spieler) oder gebauten Mauern geschützt, verliert man das dort gebaute Haus. Schützt man in der Aktionsphase eigene Häuser - egal ob mit Wächter oder Mauer - erhält man einen Einflusspunkt; beim Schutz von gegnerischen Gebäude winken sogar zwei Punkte. Mit diesen lässt sich dann z.B. das Limit der unterschiedlichen Warenkarten erhöhen, die ja für die Wertung sehr wichtig sein können.
Was ist das Besondere an "Merv"?
Drei Runden, 12 Aktionen. Das klingt nicht nach viel. Wenn da die Progression nicht stimmt, ist das für mich ein Totalausfall. Doch sie stimmt - und wie sie stimmt! Es ist großartig, wie sich eine Partie "Merv" hinsichtlich Aktionsvielfalt und Spieltiefe entfaltet, man in der ersten Runde seine Weichen stellt und dann den Zug ins Rollen bringt. Dabei sind alle EInzelteile wohl durchdacht und hervorragend verwoben, sodass die Qual der Wahl immer wieder für harte Entscheidungen sorgt.
Auch die Interaktion stimmt, denn der Schutz vor den Mongolen ist ein essentieller Bestandteil, an dem alle mitarbeiten sollten. Und da lohnt es sich auch, andere zu schützen, denn dann erhält man doppelt so viele Einflusspunkte - hervorragend umgesetzt!
Zuletzt sei auch noch die bunte, wunderschöne Optik zu erwähnen. "Merv" schaut wirklich toll aus, bietet haptisch sehr ansprechendes Material und ist durchweg perfekt ikonographiert.
Wie sehr gefällt es uns?
Irgendwie erinnert mich "Merv" an "Five Tribes", auch wenn beide Spiele nur sehr wenig miteinander gemeinsam haben. Zumindest auf den ersten Blick, sofern man das rein Spielmechanische vergleicht. Auf den zweiten Blick sehe ich da aber durchaus Ähnlichkeiten: tolles, extrem hübsches Spielmaterial, sehr interaktive Meeple-Bewegung, ähnliche Kartenkauf-Mechanik, orientalisches Setting und - wohl die für mich stäärkste Gemeinsamkeit - enorm viel Grübelpotenzial im positiven Sinne. Man aktiviert auch hier Plättchen mit Sonderfäähigkeiten (in dem Fall Ressourcengenerierung) und einer speziellen Ortsaktion; hinzu kommt die tolle Idee, dass nach Runde zwei und drei die Mongolen angreifen. Und zwar von jeder Himmelsrichtung. Das erfordert immer wieder Schutzmaßnahmen - teilweise auch gemeinsam -, sofern man nicht ein paar Ressourcen aus der Portokasse übrig hat (kaum vorstellbar) oder seine Häuschen verlieren will. Das gefiel allen Spielern extrem gut, zumal der Zwang, Schutzmaßnahmen zu ergreifen auch deshalb wertvoll ist, da man nur durch den so gewonnenen Einfluss überhaupt unterschiedliche Warenkarten kaufen kann. Großartige Verzahnung an dieser Stelle, die sich einfach "richtig" anfühlt. Genau so muss das sein!
Es geht weiter mit der gelungenen Aktivierung des Meeple-Feldes und damit die Aktivierung der zugehörigen Spalte bzw. Reihe und so eines ganz bestimmten Plättchens (die natürlich variabel ausliegen). Je nachdem, welche Gebäudefarbe sich nun jetzt darauf befindet, werden alle Gebäude der Farbe nun auch aktiviert. Und bei Benutzung der Mitspielergebäude erhalten diese auch etwas - sehr schön!
Auch die Ortsaktionen sind interessant und in ihrer Vielfalt ausgewogen: während ich auf der Fortschrittsleiste Boni einsacke, kaufe ich hier Warenkarten, dort Schriftrollen, an einem anderen Ort erhandle ich mir Luxusgüter, baue Schutzmauern zur Abwehr der Mongolen und im Palast sorge ich dafür, dass etwaige Fortschritte zusätzlich mit Siegpunkten belohnt werden. All das ist spielerisch reizvoll, clever konzipiert und wie in jedem sehr guten Eurospiel kann man niemals alles machen, was man möchte.
Bisher habe ich "Merv" also über den grünen Klee gelobt und alles hört sich nach einem großartigen Spiel an. Das ist es auch, aber am Ende möchte ich auch noch äußern, was mir nicht gefällt. Und das sind zwei Dinge: Zum Einen finde ich die Schriftrollen ein wenig zu mächtig. Bringt ein Spieler zwei Arbeiter im Palast für die Wertung der Rollen unter, wird es extrem schwierig, gegen ihn zu gewinnen. Denn die Schriftrollen lassen sich im Vergleich zu allen anderen Errungenschaften relativ einfach erwerben und drei Schriftrollen-Wertungen können dabei extrem reinhauen - zumal es Schriftrollen in Hülle und Fülle gibt. Wenn man das weiß, wird man das natürlich verhindern, dass jemand hier diese Taktik fährt, aber das ist dennoch ein Punkt, der mir missfällt. Zweitens ist das Spiel durch die zufällige Auslage der Ortsplättchen und Kaufkarten zwar variabel, kann hier aber natürlich nicht an ein "Five Tribes" heranreichen. Dafür ist der Spielablauf einen Tick zu geradlinig. Natürlich bleibt "Merv" bei uns im Regal, denn dieses Spiel ist ein absolutes Highlight, das man über Jahre regelmäßig spielen kann.
Wertungen
Chris: 8 (Großartiges Spiel mit toller Optik, wunderbare Verzahnung, schönes orientalisches Setting, kratzt für mich an der 9, dazu fehlen mir aber ein wenig die ganz großen Züge oder Emotionen, aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau)
Sarina: 8 (endlich mal wieder super tolles Spielmaterial, das mich voll überzeugt; mechanisch klasse, toller Aktionswahlmechanismus, für mich eins der besten Spiele der letzten Zeit)
Eva: 9 (Knappe 9, aber letztendlich verdient; sieht super aus und hat enorm reizvolle Mechanismen, super verwoben, anspruchsvoll und interessante Entscheidungen)
Mit "Merv: The Heart of the Silk Road" zeigt Fabio Lopiano, dass er hervorragende Eurospiele kann. Sehr gute Verzahnung, extrem ansprechende Optik, starke Progression und vor allem ein flüssiges, anspruchsvolles Spielerlebnis. Dank Ian
O´Toole dann auch noch großartig ikonographiert und illustriert. Ein tolles Spiel und tatsächlich kurz vor dem Jahreswechsel für uns noch ein absolutes Highlight.
Text: Chris
02.01.2021