Verlag: Shadowborne Games   Autor: Jamie Jolly   Spieldauer: 30-90 Min.    Spieleranzahl: 1-4

Boss-Battler mit Abenteuerfeeling

Verrückte 25 Kilo! Das mit Abstand schwerste All-In Paket, das bislang hier angekommen ist, hat trotz seiner Opulenz und der großen Vorfreude auch eine ordentliche Portion Skepsis verbreitet. Denn wenn ich ehrlich bin, haben die meisten Kickstarter-Plastikmonster hier kein langes Dasein gefristet. Daher nehme ich ich eher Abstand von solchen Kolossen, von Kampagnenspielen sowieso.

 

An "Oathsworn" kam ich aber einfach nicht vorbei, zu interessant klang das Konzept:

 

Eine Gruppe von vier tapferen Charakteren - die Free Company - bestreitet eine epische Reise, bestehend aus über 20 Abenteuern. Jedes Abenteuer beginnt mit einem Storyteil, der über ein Abenteuerbuch oder eine App begleitet wird und etwa 30-60 Minuten dauert. Hierbei trifft man Entscheidungen, welche man aus klassischen Choose-Your-Own-Adventure-Büchern kennt. Dabei folgt man der Story, erkundet Orte, verbraucht dabei Zeit und macht vereinzelt auch Proben und Kämpfe. Irgendwann findet man dann heraus, welchem Boss man im zweiten Teil des Abenteuers - der Encounter-Phase - begegnet.

 

Je nachdem, wie man sich im Storyteil angestellt hat, beginnt man den anschließenden Kampf mit unterschiedlich vielen Lebenspunkten und Modifikationsmarkern. Dieses Grundkonzept gefällt mir außerordentlich gut, denn es versprüht viel Abenteuerfeeling und Spannung. Welches Übel wird uns als nächstes erwarten? Wie kommen wir voran? Was werden wir an Loot finden? "Oathsworn" schafft es, mich immersiv zu packen und ins Abenteuer hinein zu saugen. Das ist zunächst einmal ein großer Pluspunkt.

Überragend konzipiert, aber teilweise Geschmacksache

Gehen wir mal etwas ins Detail: Mit dem Storyteil bin ich recht zufrieden, aber nicht vollends begeistert. Er unterhält mich, generiert Hype, Lore und Spannung. Ich fühle mich in der Geschichte, nicht zuletzt auch aufgrund der hervorragenden Vertonung von Game of Thrones Synchronsprecher James Cosmo. Mechanisch ist das allerdings (bislang) etwas schwachbrüstig. Nach meinem Geschmack trifft man aber zu wenige Entscheidungen und vor allem viel zu wenig relevante. Man hat selten das Gefühl, wirklich die Story zu beeinflussen (und das macht man auch nicht, lediglich kleinere Abzweigungen) und zum Großteil dient dieser Teil spielmechanisch dazu, unterschiedliche Tokens für die Encounterphase zu erhalten. Hier hätte ich mir ein dynamischeres Erlebnis gewünscht mit einer viel höheren Entscheidungstaktung, um durch noch interessantere und spannende Begegnungen noch mehr Immersion zu bieten. Das würde dann natürlich nur über die App funktionieren und da Shadowborne Games auch Wert auf die Storybook-Alternative zum Lesen legt, haben sie hier dann doch enorm viel rausgeholt. Spontan könnte ich mir lediglich stimmungsvolle Bilder mit etwas Ambientsound vorstellen, um die durchaus tolle Geschichte noch weiter zu untermalen. 

Dann ein paar Worte über den zweiten Teil eines Abenteuers, den Encounterpart: hier trumpft das Spiel für mich auf. Was der Storyteil aufbaut, wird hier zu einem wahrhaften Höhepunkt. Die Bosskämpfe sind sehr abwechslungsreich, die KI Decks gut konzipiert und spannend. Dass die nächste Angriffskarte des Bosses immer offen ausliegt, ist sicherlich Geschmacksache. Einige werden das blöd finden, da sie sich lieber überraschen lassen wollen (kann man ja theoretisch auch so spielen), aber es bringt schon eine gute taktische Komponente mit rein, wenn man diese offenen Infos mit in seine Züge integrieren muss. Uns hat das außerordentlich gut gefallen, zumal das Ganze ja nicht vollends starr ist. Wird nämlich eine Trefferzone des Bosses auf 0 gesenkt, macht der Bösewicht sofort eine Attacke und es wird eine neue Encounterkarte gezogen. Wenn sich dann auch noch das Angriffslevel ändert, kann man da schon ordentlich überrascht werden.

 

Weiter geht's ... ich liebe die Battleflow-Mechanik. Cooldown-Systeme hat man ja schon in vielen anderen Spielen gesehen, aber hier wurde das super smooth integriert und enthält eine weiteres taktisches Element. Spiele ich nämlich eine Karte in einen Cooldown-Bereich, werden alle bereits dort ausliegenden Karten sofort eine Position  weitergeschoben und ich erhalte sie früher zurück auf meine Hand - sehr cool. Auch die von "Conan" inspirierte, immer wieder verwendete Aktionsstein-Mechanik funktioniert super in Symbiose mit den Aktionskarten. 

 

Nächster Volltreffer: die Companions. Dass man jeden Charakter "voll" - also mit Aktionskarten und Battleflow - oder in reduzierter Companion-Form spielen kann, ist fantastisch. Zu zweit mit jeweils einem vollen Oathsworn und einem Companion spielt sich das Ganze super angenehm und trotzdem herausfordernd. Man muss seine sieben Aktionskarten mit all den Optionen und taktisch sinnvollen Einsatzmöglichkeiten, gepaart mit idealem Stellungsspiel, schon gut kennen, um "Oathsworn" gut und befriedigend zu spielen. Dass man dann eine weitere Figur so unheimlich flüssig und unkompliziert "nebenbei" spielen kann, ist einfach toll, zumal auch die Companions durch ihre Sonderfähigkeitskarte tolle Fähigkeiten besitzen und auch Itemeffekte einmalig einsetzen können.

Noch ein Wort zur Auswahlmöglichkeit zwischen Würfeln und Karten. Die Wahlmöglichkeit finde ich originell und gut umgesetzt, trotzdem favorisiere ich die Würfel. Spielt man es taktisch, zieht man natürlich zunächst Karten und wechselt nach den ersten Karten eventuell auf die Würfel (sofern viele gute Karten kamen) oder bleibt nach zunächst schlechten Karten dabei, da man ja weiß, dass hier bald bessere Ergebnisse folgen. Spielmechanisch gesehen wertet dieses "Würfel oder Karten?"-Element das Spiel auf taktischer Ebene natürlich leicht auf, allerdings weiß ich nicht, ob ich das hier noch wirklich brauche. Da man ja aber die Wahl hat, ist das kein Kritikpunkt an dieser Stelle. Sowieso hat das wieder mehr mit persönlichem Geschmack zu tun.

 

Der Schwierigkeitsgrad ist mit fünf auswählbaren Schwierigkeitsstufen sehr flexibel und anpassbar, hinzu kommt noch ein Hardcore-Modus mit Permadeath. Wie haben bislang immer auf Schwierigkeit 4 von 5 gespielt und sind bisland sehr zufrieden.

 

Was das Spielmaterial angeht, bietet "Oathsworn" allerhöchstes Level. Super Sortierboxen mit sinnvollen und übersichtlichen Trennkarten, bedruckte Charaktertüten für jeden Oathsworn, Tokenhalter, alles was man eben braucht. Die Miniaturen sind toll, auch wenn man die Helden idealerweise zusammenkleben sollte, ansonsten fallen sie gerne mal auseinander. Das Armory-Pack finde ich super unnötig - brauche ich ganz sicher nicht. Jedes Mal den Waffenarm auszutauschen, nur weil ich eine neue Waffe ausgerüstet habe, erachte ich als unnötig. Das Terrain-Pack ist fantastisch und sorgt vor allem bemalt für unfassbar viel Flair. 

 

Zuletzt möchte ich noch meine Eindrücke zur Auf- und Abbauzeit des Spiels schildern. Für ein solch opulentes Spiel muss ich sagen, dass die Aufbauzeit zwar nicht zu verachten, aber durchaus annehmbar ist. In den Tüten verstaut man alles, was der Charakter mit sich führt, die Karten sind super sortiert und schnell getauscht bzw. rausgeholt. Spielt man Story und Encounter direkt hintereinander, braucht das schon seine 15 Minuten, bis alles seinen Platz hat, aber letztendlich ist das alles noch im Rahmen und hat mich nicht gestört. Dafür ist das, was man danach bekommt, einfach zu gut, sodass ich diese Zeit gerne investiere. 

 

Unter Geschmacksacke fallen dann auch kleinere Mechanikentscheidungen wie der Verlust von Items nach einem Encounter. Ich finde es sehr passend, dass sich Gegenstände verbrauchen, zumal man ja immer neue erhält und auch kaufen kann. Somit bekommt und verliert man regelmäßig etwas, für mich also kein Kritikpunkt.


Wertungen

Chris: Trotz der recht linearen (aber guten) Story war das für mich ein Kandidat zum persönlichen Spiel des Jahres - der Encounter-Teil ist einfach voller großartiger Aspekte und insgesamt gefällt mir das alles außerordentlich gut. Und ich habe lange zwischen 3 und den vollen 4 Meeples geschwankt, aber letztendlich ist mir der Story-Teil doch zu lang für das, was er bietet. Er unterhält mich, ja, aber es ist einfach meistens total egal, wie ich mich entscheide. Und für die Bestwertung hat mir da bei diesem Teil, der ja fast die Hälfte einer Spielepisode darstellt, einfach etwas gefehlt. 

Matthias: Die Story ist gut geschrieben und vertont, nimmt fahrt auf und unterhält gut. Das Herz des Spiels, die Bosskämpfe machen sehr viel Spaß, das Battleflowsystem ist super.

FAZIT:

Mit ihrem Erstlingswerk "Oathsworn" liefern Shadowbornes Games einen aufregenden, super designten und motivierenden Boss-Battler. Der zweiteilige Abenteueraufbau mit Story und Encounter ist in dieser Form einzigartig und hochmotivierend. Würfel oder Karten? Voller Charakter oder Companion? Storybook oder App mit Narration von "Game of Thrones"-Synchronsprecher James Cosmo? Permadeath? Für jeden Geschmack etwas dabei, auch wenn es ein paar Aspekte gibt, mit denen man leben muss. Der Storyteil unterhält zwar, bietet aber dann doch einfach keinerlei relevante Entscheidungen.

 

Text: Chris

24.07.2022