Verlag: Restoration Games Autor: Tim Burrell-Saward Dauer: 100-120 Min Spieleranzahl: 1-4
Aufgepasst, ihr alten 80er-Jahre-Kinder! Der dunkle Turm erwacht ... vorausgesetzt ihr habt noch drei potente AA-Batterien übrig. Stürzt euch in ein kooperatives oder - wenn es unbedingt sein muss - auch kompetitives Abenteuer. Ach ja, ein Handy oder besser noch ein Tablet wäre auch noch wichtig! Aber dann ist alles angerichtet für ein unvergessliches Abenteuer. Unvergesslich? Wir werden sehen.
Ich bin wieder 13 Jahre alt!
Wie ein unruhiges Kind umklammere ich die exorbitant mächtige Spieleschachtel, fahre mit der Hand über das atmosphärische Cover und beäuge die Schachtelrückseite. Oh mein Gott, ist das cool! Ein riesiger 3D-Turm in der Mitte, der leuchtet, rotiert, Sounds abspielt, Schädel ausspuckt, Glyphen zeigt und beeindruckend inmitten dieser Landschaft in die Höhe ragt. Was wird uns erwarten? Wir starten die App und wählen eine Hauptquest und die unterschiedlichen Gegnertypen für unsere Partie. Natürlich direkt mit Alliances-Erweiterung und "gritty"-Schwierigkeitsgrad, bitte direkt die volle Herausforderung.
Die Regelerklärung geht fix, die Erweiterung macht das Ganze ein wenig komplexer als das ziemlich straighte Grundspiel, aber nach einer guten Viertelstunde sind wir bereit. Der Spieletisch ist randvoll mit Spielbrett, Kartenauslagen, Ressourcen, etwas zu groß geratenen Spielertableaus und diversen Markern (die Plastikmarker sind übrigens echt gut!). Dennoch ging auch der Aufbau erstaunlich schnell, zumal die App hier auch noch mithilft. Jetzt aber auf ins hoffentlich epische Abenteuer!
Enorm viel zu tun! Okay, also dann ... ich geh mal da lang!
Während der erste von sechs Monaten mit jeweils nur einem Spielerzug schon vorbei ist, bevor er richtig angefangen hat, nimmt das Spiel dann ziemlich schnell Fahrt auf. Gegner spawnen, Quests und Dungeons erscheinen an unterschiedlichsten Orten. Ja gut, erstmal ein bisschen ausrüsten, nebenbei die ersten kleineren Gegner weghauen. Ach, ist das schön, dass man die Bewegung splitten kann und jederzeit eine Aktion einschieben kann. Es gibt heroische Aktionen wie Schädel von Gebäuden entfernen, kämpfen, questen oder (mit Erweiterung) Einfluss sammeln, außerdem vier unterschiedliche Gebäudeaktionen. Anschließend läuft man einfach seine restliche Bewegung weiter und stellt sich z.B. in vertrautes Gelände, um weitere Boni zu erhalten. Das gefällt mir extrem gut, zumal man die Bewegung auch gegen etwas Spirit, eine der Ressourcen, verdoppeln kann.
Grundsätzlich muss man sagen, dass die Optionsvielfalt durchaus üppig ausfällt. Man muss sich schon gut überlegen, was man in seinem Zug macht, denn die Einschränkung auf eine heroische Aktion und eine Gebäudeaktion ist schon sehr fies. Questen und Kämpfen geht also nicht direkt hintereinander, ebenso erhält man in allen Gebäuden nützliche Sachen. Absprache und gezielte Auswahl sind hier wichtig! Ein Schatz, der einem einen Extrazug schenkt, ist in "Return to Dark Tower" natürlich goldwert, denn unbesiegte Gegner werden immer stärker und nicht absolvierte Quests sorgen nicht selten für weitere Nachteile oder Verluste. Allem nachzukommen, gestaltet sich schwierig bis unmöglich, sodass man natürlich gewisse Rückschlägen mit einkalkulieren muss.
Originelles "Vorteile-System"
Die Würze des Spiels kommt über eine relativ frische Spielmechanik: essentiell sind die Vorteile in bestimmten Bereichen, die man ergattern kann: jeder Gegner, jede Quest und jeder Dungeon ist mit ein oder zwei Schlüsselwörtern wie zum Beispiel "Stealth" oder "Humanoid" versehen. Durch Begleiter, Items, Schätze und Virtues - das sind spezielle Charakterfähigkeiten - lassen sich weitere Vorteile unterschiedlichster Bereiche sammeln. Was das jetzt bringt? Ich erkläre es mal an einem Beispiel:
Ich will also die eklige Spinne da vorne umhauen. Im Kampf gegen sie benötige ich Vorteile in "Stealth" oder "Beast". Davon habe ich aktuell zwei, plus zwei "wild advantages", das sind quasi Joker. Ich starte den Kampf über die App, tippe 3 zufällige Karten für die Spinne an (da sie ein Level-3-Gegner ist) und muss nun diese drei Karten nacheinander abhandeln. Auf der Karte stehen jetzt Verluste, die man erhält, um die Karte zu überstehen. Nun kommen die passenden Vorteile ins Spiel: ich kann diese nun einsetzen und somit die "Gefahr" der Karte minimieren, teilweise erhält man dann sogar Dinge, anstatt etwas zu verlieren. Erfüllt man die Verluste jedoch nicht vollständig, erhält man eine Korruptionskarte, von welchen man höchstens zwei besitzen darf. Erhält jemand seine dritte Korruptionskarte, ist der Kampf gegen den Turm sofort verloren. Selbstverständlich gibt es eine Möglichkeit, die Korruptionskarten wieder loszuwerden.
Ja aber ist das nicht furchtbar langweilig so ganz ohne Würfelkämpfe? Nö, aber High-Five-Momente fehlen!
Man schafft die einzelnen Kampfrunden auch einfach durch das Nehmen einer Korruptionskarte, aber davon darf man zu jeder Zeit nur zwei haben. In einem Kampf über vier Kartenrunden kann das schnell passieren und das Loswerden der Korruption ist kostspielig. Das Absolvieren der Herausforderungen ist also weniger ein spannendes Gefecht, sondern vielmehr ein einigermaßen berechenbares Ressourcenmanagement mit einigen Unvorhersehbarkeiten. Das ist originell und frisch, aber natürlich nicht sonderlich emotional. Und hier sind wir auch beim vielleicht größten "Problem" des Spiels: viele Spieler erwarten vielleicht in diesem Bereich mehr Spannung, mehr Epicness und mehr Emotionen. Tatsächlich lebt "Return to Dark Tower" aber eher von der immersiven Atmosphäre drumherum. Wirkliche High-Five-Momente wie bei einem wichtigen Würfelwurf auf der letzten Rille gibt es hier also nicht. Dennoch gibt es sie - die Momente, in denen man stolz auf die eigene Leistung oder die gelungene Kooperation ist. Nur eben nicht in der Intensivität wie in anderen Spielen.
Okay, epische schweißtreibende Kämpfe gibt es also nicht. Dann mal Hand aufs Herz - wie hoch ist der Unterhaltungswert?
Der Entertainment-Faktor ist trotz der eher spannungarmen Kämpfe dennoch beachtlich hoch. Die vielen Szenarien, die das Spiel jetzt schon bietet, sowie die unterschiedlichen Gegner und Endgegner bieten eine wunderbare Abwechslung. Natürlich bleibt das Spiel grundlegend dasselbe, aber es unterscheidet sich dann doch immer wieder in Nuancen, die letztendlich auch die eigene Taktik und das Spielgefühl beeinflussen. "Return to Dark Tower" fühlt sich wie ein sehr atmosphärisches Abenteuer an, das zwar eher unaufgeregt daherkommt, aber dennoch immer wieder wichtige Entscheidungen abverlangt. Man kann nicht alles machen, sich nicht um alles kümmern und muss den Überblick behalten, was jetzt in welcher Situation sinnvoll wäre.
Über die App und die Spieleranzahl
Zugegebenermaßen spiele ich selten App-gebundene Spiele, das vielgelobte neue "Descent" steht immer noch ungespielt im Schrank. Die bisher beste App-Erfahrung hatte ich wohl mit "Destinies" und ich muss sagen, dass ich die App von "Return to Dark Tower" noch besser finde. Alles funktioniert perfekt, sieht gut aus, läuft geschmeidig, es gibt einen "Zurück"-Button in vielen Situationen, das Verbinden und Aktivieren des Turms funktionierte jederzeit reibungslos. Und auch die Präsentation finde ich in der App sehr ansprechend und passend, diesbezüglich bin ich also sehr zufrieden.
Auch die Statistik am Ende des Spiels gefällt mir gut, nach der in der letzten Partie ein Spielerzug ca. 4,7 Minuten gedauert hat. Wo wir dann auch bei der Spieleranzahl wären - die Downtime hält sich zu zweit sehr in Grenzen, da man ja gemeinsam ständig diskutiert, was zu tun ist. Zudem sind auch die Züge der Mitspieler interessant, sodass man sich immer mitten im Geschehen fühlt. Auch zu dritt passt das noch prima, auch wenn man tatsächlich hier fast 10 Minuten wartet, zu viert haben wir es noch nicht gespielt. Hier könnte es möglicherweise etwas zu heftig bezüglich Wartezeit werden. Wobei ich echt sagen muss, dass mir die Wartezeit wesentlich kürzer vorkam als die App letztendlich angezeigt hat.
Wie schwierig ist das Spiel?
Wir haben bis auf eine Ausnahme immer direkt mit Erweiterung und "gritty" Schwierigkeitsgrad gespielt und fühlten uns dabei gut gefordert. Zwei Niederlagen über zu viele Schädel auf einem Gebäude und zwei Niederlagen aufgrund zu vieler Korruptionskarten stehen drei knappen und einem relativ souveränen Sieg (nur Grundspiel) gegenüber. Wenn zu viele Feinde stärker werden, man zu viele Quests links liegen lässt oder sich etwas verrannt hat in seiner Planung, kann einem das schon heftig um die Ohren fliegen. Das hat uns echt gut gefallen und vor allem mit der Allianzen-Erweiterung nimmt die Herausforderung doch spürbar zu. Einfach weil die Gilden zunächst erstmal einige Aktionen erschweren und man sich darum auch noch kümmern muss. Hintenraus erhält man hier zwar auch Boni und zudem warten in allen Gilden drei hilfreiche Begleiter, aber wenn Feinde den soeben hart erworbenen Fortschritt wieder vernichten, kann das ganz schön bitter sein.
Reicht das Grundspiel oder braucht man mehr?
Sicherlich bietet das Grundspiel schon eine Ganze Menge, alle Szenarien und Feinde sind enthalten. Somit sollte das Grundspiel auf jeden Fall reichen. Für anspruchsvollere Spieler, die wirklich richtig gefordert werden wollen und erfahren in ähnlichen Spielen sind, ist die Allianzen-Erweiterung aber schon ziemlich sinnvoll, da man sich hier einfach um noch mehr kümmern muss als ohnehin schon. Und dies empfanden wir dann mit dem "gritty"-Schwierigkeitsgrad als genau richtig, daher werden wir es auch weiterhin nur mit Erweiterung spielen.
Die Dark Horde-Erweiterung enthält ausschließlich Gegner-Miniaturen. Diese braucht man sicherlich nicht unbedingt, die Plättchen erfüllen auch ihren Zweck. Natürlich erkennt man einen Eisriesen aus Plastik auf einem hinteren Feld deutlich besser als das Plättchen und die Minis sehen allesamt mit ihrem Wash recht gut aus, allerdings ist der Preis dafür auch ziemlich hoch (etwa 80€).
Die Playmat habe ich noch nicht, aber grundsätzlich wären größere Felder ebenfalls prima. Ich muss aber sagen, dass unser Spieltisch (2,50m x 0,9m) auch so schon recht voll ist und es eventuell aufgrund der großgeratenen Spielertableaus und vor allem den Gilden um die Karte ein Platzproblem werden könnte.
Kompetitiv geht auch?
Ja, geht auch. Hier erhält jeder Spieler drei individuelle Quests, die absolviert werden müssen. Anschließend erhält man Zugang zum Tower Dungeon, indem ein heiliges Relikt gefunden werden muss. Wer das schafft, gewinnt die Partie. Zudem erscheinen neue Quests - wer diese zuerst schafft, erhält weitere Begleiter. Strafen bei Nichterledigung gibt es nicht. Wir haben diesen Modus bisher lediglich einmal gespielt und trotz aller vorheriger Skepsis zeigte sich das Ganze spaßiger als gedacht. Man merkt dem Modus aber natürlich schon an, dass er als Zusatz während der Kampagne hinzugekommen ist, um Fans den klassischen Modus des Originalspiels zu bieten. Einfach ein abgespecktes Erlebnis, das zwar irgendwo Laune macht, aber gegenüber dem neuen kooperativen Modus klar den Kürzeren zieht.
Wertungen
Chris: Endlich mal wieder ein Kickstarter, der sich gelohnt hat. Wirklich gutes Spiel mit toller Atmosphäre, grundsolider Spielmechanik, herausforderndem Schwierigkeitsgrad, vor allem mit Erweiterung
Simon: Hohe Interaktion, immer wieder neue Situationen, lahme Dungeons, guter App-Einsatz, der Turm ist eine tolle Spielerei, Minis hübsch aber nicht nötig. Bin noch unsicher, will es aber nochmal spielen
Restauration geglückt! "Return to Dark Tower" ist zwar nicht ganz das epische Event-Spiel, das ich mir erhofft hatte, aber es ist einsteigerfreundlich, kurzweilig und sehr unterhaltsam, sodass es immer wieder mal auf den Tisch kommen wird. Der technisch hervorragend konzipierte Turm ist in Verbindung mit der großartigen App eine enorm unterhaltsame Sache und auch atmosphärisch liefert das Spiel richtig ab.
Mit der Erweiterung stimmt auch die Herausforderung, Potenzial für weitere Szenarien und App-Updates ist da. Ich bin gespannt, ob da in Zukunft noch mehr kommt.
Grundsätzlich also eigentlich eine Empfehlung, allerdings liegt der Preis für Grundspiel und Erweiterung bei etwa 180€, mit Miniaturen und Playmat sprengt das Ganze - vor allem auf dem Sekundärmarkt - die 300€-Grenze. Hier muss man schon wissen, dass es deutlich günstigere Alternativen im Koop-Abenteuerbereich gibt, die vielleicht sogar noch besser sind. Überlegt Euch also gut, ob Euch dieses Spiel so viel Geld wert ist.
Text: Chris
06.05.2022