Verlag: The British Museum  Autor: unbekannt  Spieldauer: 30 Min    Spieleranzahl: 2

Ein Brettspiel aus uralten Zeiten

Einmal was ganz Anderes! "The Royal Game of Ur" ist eines der wohl ältesten Brettspiele in der Geschichte der Menschheit. Im mittleren Osten erfreute sich dieses Spiel bereits im Jahre 2500 v.Chr. bereits einer gewissen Beliebtheit und stellt damit sogar Urgesteine der Brettspielhistorie wie Schach mit Leichtigkeit in den Schatten. Bei Ausgrabungen rund um die Ruinen der Stadt Ur wurde das Spielbrett geborgen und Irwin Finkel, dem Kurator des British Museum in London, ist es gelungen, die Regeln zu rekonstruieren. Und so stellt sich nun die entscheidende Frage: Taugt dieses erlesene Stück Historie denn auch auf unseren neumodischen Spieltischen etwas, oder ist doch die Vitrine der angemessene Platz? 

Wie funktioniert das Spiel?

Diese Frage ist tatsächlich gar nicht so einfach zu beantworten, denn niemand kennt die genauen Regeln. Selbst in der Version aus dem Shop des British Museum, das ich vor mir liegen habe, stehen zum Teil lediglich Deutungen drinnen. Anstatt klaren Aussagen, finden sich zum Beispiel zumindest vereinzelt Formulierungen wie „the rules suggest“, also „die Regeln lassen vermuten“. Man könnte sicherlich einige Seiten mit einem Bericht über den Fund dieses Spiels oder dem Enträtseln der Spielregeln füllen, aber dafür sei vielleicht besser z.B. an die Homepage des British Museum (https://www.britishmuseum.org) oder deren Youtube Kanal verwiesen. Basierend auf dem Regelwerk, dass ich verwendet habe, bleibt folgendes unterm Strich stehen: "The Royal Game of Ur" ist ein Wettlaufspiel für zwei Spieler im Stil von Mensch-ärgere-dich-nicht oder Backgammon. Beide Spieler müssen versuchen als erster ihre Spielsteine über einen vorgegebenen Parcours zu manövrieren. Die Spielsteine rücken durch Würfeln vorwärts und landet man auf einem Feld, dass von einem gegnerischen Stein besetzt wird, muss dieser zurück an den Start.

 

Das Spielbrett selbst ist dem Ausstellungsstück des British Museum nachempfunden und besteht aus drei verschiedenen Teilen: Einem Start und einem Endgebiet, das jeweils nur von einem Spieler und dessen Steinen genutzt werden darf und einer langen geraden Strecke, auf der munter geschlagen werden darf. Die Steine bewegen sich entlang der Linie, wie in der Abbildung gezeigt. Zieht man einen Stein auf eines der Felder mit dem Blumensymbol („Rosette“), so darf man erneut ziehen und der Stein kann auf diesem Feld nicht mehr geschlagen werden.

 

Zum Würfeln werden vier-seitige Würfel verwendet, bei denen jeweils zwei Ecken weiß angemalt sind. Man würfelt vier davon gleichzeitig und zählt dann die weißen Ecken. Somit erreicht man ein Würfelergebnis zwischen 0 und 4. Würfelt man eine 0 hat man entsprechend Pech und muss aussetzen.

Ein kleines Extra – Die fortgeschrittene Variante

Die Version des British Museum bietet sogar noch eine weitere Variante des Spiels an: Dazu wird ein separates Spielbrett verwendet, ein zusätzlicher beigefarbener W4 Würfel, ein paar Chips in verschiedenen Farben und 5 neue Spielsteine, die mit Vogelzeichnungen und einer Zahlenwertung versehen sind.  Die Vögel werden im Regelwerk als Adler, Hahn, Rabe, Schwalbe und „Storm-Bird“ bezeichnet. Außerdem wird ein fünfter W4-Würfel in einer anderen Farbe hinzugefügt.

Leider sind die Regeln für die fortgeschrittene Version nicht eindeutig geschrieben und zum Teil schlicht unverständlich. Deswegen sei an dieser Stelle erwähnt, dass wir beim Spielen ein wenig improvisiert haben und die Regeln nur zum Teil übernommen haben, da wir sie schlicht für nicht spielbar hielten.

Was aber klar und verständlich war, ist, dass der zusätzliche beigefarbene Würfel nach dem eigentlichen Wurf geworfen werden darf: Zeigt eine der zwei bemalten Ecken nach oben wird der Wurf aufgewertet und aus einer gewürfelten 1 wird zum Beispiel jetzt eine 5. Andernfalls wird der Wurf komplett annulliert und man setzt aus. Man hat jetzt also die Chance risikoreich zu spielen oder einfach nur, wenn man eine Zahl gerade so gar nicht brauchen kann, mehr aus dem Wurf heraus zu holen.

 

Eine weitere Besonderheit, die wir übernommen haben, ist der Schwalbenspielstein, der im Ziel zwar kaum Punkte wert ist, der aber - so vermutet das Regelwerk zumindest - gegnerische Steine schlagen kann, nicht indem er sie berührt, sondern sich über sie hinweg bewegt. Verbunden mit der o.g. Möglichkeit sich in einem Zug sehr viele Felder zu bewegen, hat man damit die Option gleich mehrere Steine des Gegners auf einmal einzusammeln.  

 

Was ist das Besondere?

Die klare Besonderheit des Spiels ist die Optik. Alles im Allen wird den Spielern mit Erfolg vermittelt: „Ihr spielt hier gerade was ganz schön Altes“. Das klotzige und mit merkwürdigen Mustern versehene Spielfeld erinnert an einen großen bemalten Stein. Die ungewöhnlichen und auch teilweise bewusst leicht deformierten Würfel wirken erstmal befremdlich und liegen komisch in der Hand und die Spielsteine sind z.T. bewusst eingedellt, gebleicht oder verkratzt. So wirkt jeder Spielstein auf seine Art individuell und nicht so, als käme er vom Band. Die Wahl der W4-Würfel wird im Regelwerk zum Beispiel damit begründet, dass zur Blütezeit dieses Spiels wohl Knochen aus den Knöchelgelenken von Schafen verwendet wurden und diese wohl vier „Seiten“ haben, auf die fallen könnten. Der beigefarbene Würfel für die fortgeschrittene Version wiederum, stammt in der Originalversion wohl von dem Knöchelknochen eines Ochsen und konnte also von den anderen unterschieden werden. 

Wie sehr gefällt es uns?

Dass die Regeln nicht vollkommen klar sind ist eigentlich kein so großes Problem. Die Grundversion ist verständlich, schnell erklärt und eindeutig und bei der fortgeschrittenen Variante kann man sich mit Hausregeln behelfen.

Das Material schafft es optisch und haptisch etwas ganz Besonderes zu erzeugen: Die Immersion, dass das Spiel schon einige Jahrtausende auf dem Buckel hat gelingt ziemlich gut! Gerade die Spielsteine haben mir sehr gut gefallen; durch die oben erwähnte Einzigartigkeit unterstützen sie das Bild von einem antiken Fund. Damit wird das Spiel zumindest schon mal zu einem Hingucker. Im Gegensatz dazu wirken aber das Spielbrett der erweiterten Version, sowie die Chips zum zählen von Punkten, wirklich genau wie von der Stange, was das Gesamtbild wieder etwas kaputt macht. Das macht unterm Strich wirklich viel aus, denn dadurch verliert das Spiel seinen altertümlichen Charme. Aber wie ich finde, unterscheidet sich das „Expertenspielfeld“ nicht merklich von der Originalversion und die Chips sind ohnehin nur zum Zählen von Punkten da. Meiner Meinung nach braucht man das Spielbrett für die Expertenversion eigentlich gar nicht zu wechseln und für das Notieren von Punkten kann man auch mal auf ein neumodisches Blatt Papier ausweichen.  

 

Ironischerweise ist das Material auch gleichzeitig der wohl größte Kritikpunkte des Spiels. Auch wenn die Optik toll ist, so ist die Qualität des Spielmaterials katastrophal! Bereits nach zwei Partien fingen die Würfel an, Verschließerscheinungen zu zeigen an einigen Kanten. Nicht sind unsere Würfel seitdem „gezinkt“ sind, in einem Fall ging sogar die Farbe von der Kante ab und hätten wir nicht gerade etwas Acryllack zur Hand gehabt, wäre der Würfel nun völlig unbrauchbar gewesen. Fairerweise muss man anmerken, dass dies auch nicht das Machwerk eines namenhaften Spieleherstellers ist, sondern dem Geschenkeshop eines Museums entstammt. Also sollte man keine zu hohen Erwartungen an das Material setzen.  

Ein weiterer Kritikpunkt für mich ist die Wahl der W4 Würfel an sich. Dies mag vielleicht historisch stimmig sein, aber als Teilzeit-Rollenspieler weiß ich, dass der W4 Würfel der schlimmste von allen Würfeln ist. Sein Problem ist nämlich, dass der Tetraeder sehr spitz zulaufende Kanten hat und gerade mal 3 Flächen bietet, um ihn vom Tisch aufzuheben. Wir haben schnell festgestellt, dass man die Würfel besser über die Tischkante abstreifen sollte, anstatt zu versuchen sie aufzuheben. Das mag jetzt wie eine Lappalie klingen, aber in einem Spiel, in dem sehr viel gewürfelt wird, kann das recht schnell schon ziemlich nerven.

 

Strategisch bietet das Grundspiel natürlich keine große Herausforderung und man muss nicht wirklich mit dem Kopf dabei sein. Die fortgeschrittene Variante hat ein paar spannende Kniffe, aber unterm Strich bleibt doch alles sehr simpel. Trotzdem bietet das Spiel den unvergleichlichen Reiz eines jeden Wettlaufspiels: Glückliche Würfe führen gerne mal zu kurzzeitiger Euphorie, die schon gleich im nächsten Zug mit dem Würfeln einer 0 in Frustration umschlagen kann. Außerdem kann man sich hervorragend nebenbei unterhalten. Also unterm Strich ist das Spiel als Absacker für eine 2er Runde absolut geeignet.

 

Ein schöner Nebeneffekt gegenüber anderer Wettlaufspiele, wie Mensch-ärgere-dich-nicht ist übrigens, dass es, wie ich finde, ein Stück weit planbarer ist. Die 2 ist der wahrscheinlichste Wurf und die Rosetten und der damit verbundene Extrawurf können somit halbwegs gezielt angesteuert werden. Dadurch, dass die gewürfelten Zahlen immer recht klein sind, bleiben die Steine außerdem immer recht eng zusammen, und keiner rennt mit einer Serie von 6ern oder Paschen einfach so auf und davon. Das macht die Sache zumindest ein wenig spannender. 


Wertungen

Mark: 4 (Ein zeitloses Stück Historie. Aber ich bin doch sehr froh, dass sich Brettspiele über die Jahrtausende doch etwas weiterentwickelt haben)

FAZIT:

Spielerisch haut "The Royal Game of Ur" niemanden aus den Latschen. Aber allein dafür, dass es ein derart ehrwürdiges Stück Brettspielhistorie ist, hat es einen Ehrenplatz in meiner Vitrine sicher. Ich will aber ehrlich sein: Es wird diesen Platz wohl nicht allzu oft verlassen. Auch wenn es als Absacker und natürlich auch kleiner Hingucker durchaus was taugt.  

  

Text: Mark