Miniatures ready? FIGHT!

Keines dieser beiden Spiele hatte ich so wirklich auf dem Schirm, umso überraschender, dass nun beide hier stehen. Das Kickstarter-Dilemma um "Street Fighter - The Miniatures Game" mit der über 3 Jahre langen Wartezeit und abnormal hohen Versandkosten und Steuern habe ich mitbekommen, von "Scott Pilgrim" wusste ich erst was, als es einer meiner Stammläden zum Verkauf anbot. Sofort wurde mir klar, dass mich hier ein interessantes Duell reizen würde - gesagt, getan. Im Folgenden vergleiche ich die beiden Spiele in verschiedenen Kategorien und verrate Euch, welches Spiel mir besser gefällt und ob bzw. wem ich eines dieser Spiele empfehlen würde.

Kampfrunde 1: Optik

Viel wurde über die "Street Fighter"-Miniaturen im Vorfeld diskutiert. Sehen die wirklich so genial aus wie auf den Bildern? Letzten Endes muss man sagen: Ja, sehen sie. Alle Minis kommen bemalt daher, sind vergleichsweise groß und geizen nicht mit wunderbaren Details und Effekten. Hier und da könnte man darüber diskutieren, ob nicht sogar etwas zu viel um die Miniatur herum passiert, da einfachere Posen die ein oder andere Figur besser in Szene setzen würden. Die Bemalung ist großartig, auch wenn es kleine Unsauberkeiten bei den Washes gibt, das fällt allerdings nur den wenigsten auf. Ich jedenfalls bin mehr als zufrieden mit den Miniaturen.

Ohne Frage punktet "Street Fighter" mit einer phänomenalen Tischpräsenz; der Aufforderungscharakter ist riesig, vor allem für Fans. Die vier unterschiedlichen Stages sind allesamt ein Hingucker und mitsamt dem 3D-Terrain absolut gelungen, vieles erinnert an die Videospiele. Die Chun Li-Stage hätte man beispielsweise kaum besser machen können und katapultiert Fans direkt in alte Super Nintendo-Zeiten.

Auch das Artwork auf den Karten ist sensationell und bringt die unterschiedlichen Angriffe mit tollen

Illustrationen gut zur Geltung. Man muss also sagen, dass wir hier optisch einen absoluten Leckerbissen haben, der für mich persönlich ganz klar die Bestnote verdient hat. 


Muss sich "Scott Pilgrim" jetzt still in die Ecke stellen und sich geschlagen geben? Nun ja, an die gewaltige Tischpräsenz von "Street Fighter" kommt das Spiel ganz gewiss nicht ran. Dennoch haben wir auch hier schick bemalte Miniaturen, die allerdings weitaus kleiner und weniger beeindruckend sind. Dennoch gefällt mir der Comic-Style wunderbar, der extrem nah an den Originalcomics ist. Das Spielbrett ist zwar vergleichsweise klein, überzeugt aber mit einem Aufklapphintergrund, einer 3D-Bühne und zahlreichen dreidimensionalen Elementen.

Die Kartenillustrationen sind stilistisch einfach gehalten, aber dennoch sehr knuffig und überzeugend. Auch die grundlegende Gestaltung der Spielertableaus gefällt mir sehr gut. Insgesamt liefert "Scott Pilgrim" hier also auch eine gelungene Optik, die einem zum Spielen animiert


Kampfrunde 2: Materialqualität

Das Material in "Street Fighter" kann man grundlegend als gut bezeichnen. Die Miniaturen sehen nicht nur toll aus, sondern sind auch robust und von hervorragender Qualität. Die Karten dagegen sind etwas dünn, sodass ich hier auf jeden Fall Sleeves empfehlen würde. Das 3D-Terrain besteht aus zusammensteckbaren Teilen und da bin ich immer zwiegespalten, denn oftmals leidet das Material schnell, wenn die Pappe nicht dick genug ist. Bei "Street Fighter" kann ich diesbezüglich Entwarnung geben, denn die Qualität ist ausgezeichnet. Genau so stell ich mir das vor! Klar, die Kisten sind etwas fitzelig zusammenzubauen, vielleicht sollte man die auch fix zusammenkleben. Alles andere funktioniert da deutlich einfacher, wobei einige Teile etwas schwerfällige 

Aufbauschritte haben (z.B. der Imbisswagen). Hier sollte man auf jeden Fall vermeiden, die Teile immer auseinanderzubauen und wieder zusammenzustecken, da es hier  Abnutzungserscheinungen gibt.

 

Die Aufbewahrung ist ohnehin ein kleines Problemchen bei "Street Fighter" und ich habe es jetzt so gelöst, dass ich das Plastikinlay der Boss-Expansion entfernt habe und in diese große Box neben den beiden Boss-Miniaturen und ihren Karten das ganze 3D-Terrain reingepackt habe. Das passt fast alles aufgebaut rein, die Bäume kann man problemlos ab- und wieder aufbauen, ohne dass Schäden entstehen.

 

Die Tokens sind prima, die Würfel großartig. Hier gibt es nichts zu meckern. Enorm blöd gelaufen ist allerdings die Tatsache, dass die Skala auf dem Lebensrad bzw. dem Meter Gauge (Power-Punkte, die man zum Aufladen von Superattacken bekommt) keine "0" hat. Etwas unverständlich, wie das passieren konnte, letztendlich aber nicht tragisch meiner Meinung nach. Außerdem gibt es kleine vereinzelte Rechtschreibfehler, der exklusive Automodus ist nicht spielbar, da Kacheln falsch gedruckt wurden. Stört mich persönlich jetzt nicht, da mich der Modus nicht wirklich juckt, aber falls das bei Euch anders sein sollte, sieht die Sache hier nochmal anders aus.


Ja gut, was soll ich sagen. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, oder? So habe ich die Miniaturen von "Scott Pilgrim" vorgefunden:

Da die Spielschachtel schon beim Herausnehmen aus dem Paket geklimpert hat wie ein Überraschungsei, hatte ich schon schlimme Befürchtungen, die sich dann leider auch  bewahrheitet haben. Die Minis lagen überall verstreut, nur nicht im Inlay. Für einen Preis um die 80€ extrem ärgerlich, zumal die Minis ja quasi das Aushängeschild des Spiels sind. Also gut, Support angeschrieben und nach Ersatz gebeten (positive Antwort kam immerhin sehr schnell), Kleber rausgeholt und gerettet, was zu retten war. Leider wird es aber auch beim restlichen Material nicht viel besser, denn die Qualität ist gelinde gesagt eine herbe Enttäuschung. Das Spielbrett wirkt eher billig, die zusammensteckbaren 3D-Elemente sind aus sehr dünner, höchst knickanfälliger Pappe. Mein lieber Scholli, das ist nicht Euer Ernst, Renegade Game Studies, oder? Ich habe die Teile trotz extremer Vorsicht kaum zusammengesteckt bekommen und die Hälfte der Stühle und Tische sind dabei so heftig durchgeknickt, dass sie jetzt aussehen wie Sch...., sorry für den Ausdruck. Aber ich bin echt wütend, wie man so etwas auf zahlende Kunden loslassen kann.

Auch die eigentlich sehr hübschen Double-Layer-Boards sind an den Ecken super anfällig für Beschädigungen. Allein wenn ich mit dem Finger über die Ränder streiche, habe ich Angst, dass sich was löst und die Vorderseite auch noch ruiniert. Auch wenn ich zumindest bald Ersatzfiguren erhalte, war ich von der Materialqualität mehr als ernüchtert

Kampfrunde 3: Spielmechanik

In "Street Fighter" bewegen wir unsere Charaktere über den Spielplan und attackieren in Abhängigkeit der Reichweite und passenden Karten auf der Hand. Dabei spielt man die meisten Angriffe verdeckt, anschließend entscheidet sich der Verteidiger für einen Block-Versuch (Würfel gegen Würfel), eine Konterattacke (man muss dieselbe Attacken-Art antizipieren wie der Verteidiger) oder ein Event. Die Möglichkeit zu bluffen finde ich großartig, generell trifft das Spiel mit seinem Auf und Ab innerhalb des Kampfgeschehens die Vorlage überraschend gut. Ausweichen, kontern, den Gegner auf Hindernisse werfen - all das ist möglich. Zugegebenermaßen hätte ich auch nicht gedacht, dass die Combo- und Counter Attack-Mechanik so gelungen vom Videospiel zum Brettspiel umgesetzt werden kann. 

 

Was mir wirklich gut gefällt ist, dass der Angreifer seine Angriffskarte verdeckt spielt und der Verteidiger mehrere Optionen hat. Will er einen Gegenangriff starten, muss er etwas riskieren. Das sorgt für Spannung und tolle Momente. Dazu muss man sagen, dass man extrem schnell ins Spiel reinkommt, ohne ewig lange erklären zu müssen. Es gibt drei verschiedene Angriffsarten, ein paar Super-Moves und wenige Detailregeln, sodass man zügig losspielen kann. Die Variation ist durch die vielen verschiedenen Kämpfer, die allesamt mit ihrem eigenen Deck daherkommen, den vier Maps und zahlreichen Spielmodi gigantisch. Da eine Partie meistens nicht länger als 45 Minuten dauert, ist die Motivation, weitere Runden zu spielen, sehr hoch.

Aber auch Scott Pilgrim" hat spielerisch etwas auf dem Kasten. Die Aktionen werden durch Würfelergebnisse getätigt, dabei haben die "Guten" und die "Bösen" ihren eigenen Würfelpool. Gleiche Symbole dürfen erneut gewürfelt werden, sodass man nicht vollends auf den ersten Wurf festgelegt ist. Wie auch bei "Street Fighter" bewegen wir die Charaktere frei auf dem Feld umher und versuchen durch möglichst gutes Positionsspiel effektive Angriffe auszuführen. Während das Team um Scott Pilgrim gewinnt, sobald der böse Ex Matthew Patel besiegt ist, muss der Bösewicht alle Helden ausknocken. 

 

Neben den Standardangriffen sollte man tunlichst schauen, sich aufzuleveln, denn dann winken neue Spezialfähigkeiten und Combo-Angriffe. Punkte zum Aufleveln erhält man z.B. durch anstrengendere, verstärkte Basisangriffe (erfordern einen Würfel mehr oder Booster Tokens), dem Einsatz von bereits freigeschaltenen Spezialaktionen oder dem Werfen von Gegenständen auf Gegner. 

 

Im Zentrum des Spielfeldes gibt es außerdem einen Bereich, in dem sich Scott Pilgrim und seine Freunde nützliche Gegenstände holen können. Gleichzeitig sorgt der Bösewicht Matthew Patel dort dafür, dass der Stapel der Gegenstände kleiner wird. Letztendlich geben sich beide Seiten also durchgehend auf die Mütze, bis eine Siegkondition erreicht wurde.

"Scott Pilgrim" überzeugt trotz des natürlich redundanten Spielablaufs mit viel Witz, situativer Taktik und recht spannenden Kämpfen. Insgesamt ist das jetzt nicht das Originellste, das ich je gespielt habe, aber durchaus unterhaltsam. Im Vergleich mit "Street Fighter" aber eine knappe Niederlage, da dessen Kartenmechanik einfach noch mehr Interaktivität bietet und für mehr Überraschungen sorgt.

Kampfrunde 4: Spielspaß

"Street Fighter" weckt in mir nostalgische Erinnerungen und Gefühle, sieht großartig auf dem Tisch aus und punktet mit flotten Partien, die unterhaltsam und in der Regel auch sehr spannend sind. Es gibt nahezu alles, was man auch von den Videospielen kennt: Combo-Attacken, Konterattacken, Ultra- und Super-Attacken, selbst ein Double-K.O. ist möglich. Dazu wird man durch die fantastischen Miniaturen und der allgemeinen Tischpräsenz schon ordentlich ins Spiel gesogen. Spielerisch gefallen mir die kleinen, taktischen Entscheidungen; es gibt Bluffs, Blocks, Konter und zermalmende Combos, dass es eine wahre Freude für "Street Fighter"-Fans ist. Ja, das Kampfsystem ist natürlich irgendwo beschränkt, aber letztendlich bietet es genau das, was auch schon die Videospiele auszeichnete. Außer man sieht sich als Pro-Gamer, der jeden Angriff in und auswendig beherrscht und durch hartes Training mit jedem Gegner den Boden aufwischt -- nein, das funktioniert hier natürlich nicht. Die Glückskomponente ist da, wie es sich für ein kartengetriebenes Spiel gehört, ist dabei nicht höher als sonst und das muss man wissen. Dann bekommt man mit "Street Fighter - The Miniatures Game" ein herrlich straightes und gut funktionierendes Kampfspiel mit allerlei Modi (Versus, Tag-Team, Free-For-All, etc.) und imposanter Optik. 

Würde ich mir "Scott Pilgrim" nochmal kaufen? Nein. Würde ich es wieder spielen? Bestimmt, denn spielerisch macht das auf jeden Fall Laune. Ich mag den Humor, ich mag das Level-System und auch die Aktionsgenerierung über die Würfel. Selbstverständlich entfaltet solch ein Spiel erst sein ganzes Potenzial, sobald man mit einem weiteren Fan des "Scott Pilgrim"-Universums spielt, das gilt auch für "Street Fighter" und andere Adaptationen. Jetzt habe ich das Spiel hier stehen, ein Verkauf kann ich auufgrund der beschädigten Figuren und 3D-Elemente eh vergessen, also hat sich das Spiel tatsächlich auf beschämende Weise einen Regalplatz gesichert. Sei's drum, vielleicht ist es mir ja wieder danach. Cool finde ich das Spiel ja schon irgendwie, wäre da nicht ... ach das hatten wir schon.


FAZIT:

Der Sieger steht fest: "Street Fighter - The Miniatures Game" setzt sich am Ende deutlich gegen "Scott Pilgrim Miniatures the World" durch. Klar, gegen die optische Präsenz war es von vorneherein schwierig anzukommen, aber spielerisch machen beide Spiele ähnlich viel richtig. Leider war es dann mitunter die furchtbare Materialqualität, die "Scott Pilgrim" zum Verhängnis wurde.

 

Würde ich "Street Fighter" empfehlen? Ja, aber eher für Fans. Die werden durchaus toll in die Vorlage gesogen und spüren die alten SNES-Vibes mit Ryu, Ken, Blanka, Mr. Bison und Co. Für unabhängige Spieler, die einfach nur ein gutes Kampfspiel suchen, ist das Ganze zu teuer und wahrscheinlich zu speziell.

 

Würde ich "Scott Pilgrim" empfehlen? Ganz sicher nicht, denn der Preis ist zu hoch für dieses Material-Desaster. Das ist extrem schade, denn Spaß macht das Spiel auf jeden Fall und hat spielerisch durchaus nette Einfälle und erinnerungswürdige Momente. So aber muss ich leider auch den "Scott Pilgrim"- Fans sagen: Nur, wenn ihr damit klar kommt, dass das alles schlampig produziert wurde.

 

Text: Chris

07.05.2021