Verlag: Portal Games / Pegasus Autor: Ignacy Trzewiczek Spieldauer: 90 Min. Spieleranzahl: 2
Einmal aufgebaut, entfaltet "Stronghold Undead" eine nervenaufreibende Atmosphäre. Ein bisschen wie bei der Schlacht um Winterfell (Game of Thrones), nur reicht ein einzelner Dolch hier definitiv nicht aus, um die Horden der Untoten zu besiegen. Zwei Spieler treten gegeneinander an - der eine verteidigt die heilige Burg, der andere versucht sie zu stürmen. Gut gegen Böse, wer hat die besseren Chancen?
Es kribbelt - geht's jetzt los?
Immer wieder rede ich davon, dass Spiele besonders sein müssen. Auf irgendeine Art müssen sie etwas bieten, um aus der Masse herauszustechen. "Stronghold Undead" schafft das mit Leichtigkeit, denn dieses Spiel bietet etwas, das ich so noch nicht in meinem Regal habe. Ein Expertenspiel für zwei Spieler, bei dem man sich in maximal acht Runden bis aufs Blut duelliert. Schafft es der Angreifer auch nur an einem Mauerabschnitt in die Festung, ist das Spiel zu Ende. Der tapfere Verteidiger muss es schaffen, acht Runden lang die Horden des Bösen zurückzuhalten. Das ist schon von der Voraussetzung her unfassbar spannend.
Die Einstiegshürde hat es allerdings in sich. Ja, hier steht "Experte" nicht nur drauf, sondern da ist auch Experte drin. Die Regeln sind nicht schwierig, aber es gibt eine ganze Menge zu beachten, zu wissen und zu verinnerlichen. Selbst nach zwei Partien kurz hintereinander mussten wir noch auf die Übersicht schauen, denn sowohl Angreifer als auch Verteidiger verfügen über ein ansehnliches Arsenal an Möglichkeiten; es gilt Herr über viele Plättchen und Marker zu werden.
Deluxe oder lieber normal?
Wer mich kennt, weiß, dass ich immer zu Deluxe-Material neige. Ich bin da leider ein Opfer meines eigenen Ästhetik-empfindens, aber wenn es Upgrades gibt, versuche ich auch, diese zu bekommen. Macht einfach mehr her und saugt mich noch mehr in die Atmosphäre des Spiels - sofern es natürlich auch spielerisch zu überzeugen weiß. Bei "Stronghold Undead" war es nach dem verpassten Kickstarter etwas schwieriger, alles zu bekommen, daher möchte ich an dieser Stelle verraten, ob sich der Aufwand gelohnt hat. Die Spielmatte sehe ich als gewinnbringendes Upgrade an, denn sie ist ein gutes Stück größer als das Spielbrett und macht es somit einfacher und übersichtlicher, mit all dem Material darauf umzugehen. Zudem schaut sie auch überaus gut aus, auch wenn natürlich wie so oft bei Spielmatten die Schärfe gegenüber dem Brett den kürzeren zieht und die Matte recht dünn ist. Hier aber Daumen hoch.
Bei den bedruckten Holz-Meeple allerdings schaut die Sache leider etwas anders aus. Ja, sie sehen phänomenal gut aus. Zumindest von einer Seite, denn unverständlicherweise sind sie nur einseitig bedruckt. Vom Handling her sind die Meeple allerdings eher eine Katastrophe, weil man viel zu viele von ihnen herumschiebt, es so schnell unübersichtlich wird und sie ständig umfallen. Nach zwei Partien habe ich also zähneknirschend wieder zu den alternativen Einheiten - einfachen Holzwürfeln - gewechselt. Eine gute Entscheidung, denn man erkennt die Einheiten so genauso gut und man hantiert wesentlich einfacher damit. Leider also keine Empfehlung für die optisch tollen Meeple. Dennoch verwenden wir immerhin die Priester-Meeple, davon gibt es eh nicht viele.
Ich hab die Regeln gelesen und bin bereit. Oder etwa doch nicht?
"Stronghold Undead" entfaltet erst dann seine volle Sogkraft, wenn beide Spieler regelfest und eingespielt sind, alle Optionen der Gegenseite verinnerlicht haben, um sinnvoll darauf reagieren zu können. Vorher artet eine Partie in teilweise planloses Agieren aus, das man eine Runde später oftmals bereits bereut.
Wer hat die besseren Chancen?
Recherchiert man im Internet, stößt man immer wieder auf Kommentare, dass der Angreifer es einfacher hat als der Verteidiger. Dies zu bestätigen oder zu verneinen, mag ich noch nicht imstande sein, aber gefühlt wurde ich dem nur bedingt zustimmen. Ich würde es eher so sagen: Kennt der Verteidiger nicht alle Mittel des Angreifers und weiß sich nicht auf diese sinnvoll vorzubereiten oder diesen entgegenzuwirken, bedeutet ein Fehler des Verteidigers wohl schneller das Aus als ein Fehler des Angreifers. Grundsätzlich gibt es aber für alles ein Gegenrezept und mit einer guten Spielfeldübersicht und genügend Ideenreichtum halte ich eine Partie für ausgeglichen und letztendlich dann auch für sau spannend. Das ist dann auch die große Stärke des Spiels, denn was hier abgeht teilweise, ist pure Epicness.
Ein Beispiel gefällig? Vampire, Skelette und Geister haben sich auf einem Schutzwall mit Schutzzaubern eingedeckt. Die Schützen auf der Mauer können die Skelette daher nicht treffen und der angrenzende Friedhof sorgt dafür, dass die Panik in der Burg steigt. Zuerst schicken die UUntoten eine Salve ihres Geistergeschosses auf die Burg, dann stürmen sie los. Der vorbereitete Dämonenpfad verwandelt auf den letzten Metern ein Skelett noch zu einem Vampir - der stärksten Einheit des Bösen. Auch die Geister profitieren von den Vampiren, denn in deren Anwesenheit haben sie die doppelte Stärke. Natürlich greifen die Untoten genau den Mauerabschnitt an, an dem sich keine Pflöcke befinden, mit welchen der Verteidiger den Blutsaugern den Garaus machen könnte. Die Giftwolke tut, was sie tun soll: weitere zwei Stärkepunkte. Der Verteidiger zerstört mithilfe des Skelettkessels die Skelette und schickt alle Veteranen an die Mauer. Auch ein Priester unterstützt die verteidigenden tapferen Männer und treibt einen Geist zurück. Dann, ja dann ...
Na, klingt gut? Genau solche Szenen finden in "Stronghold Undead" statt. Allerdings auch auf Kosten des Spielflusses, denn in diesem Spiel muss eine Menge beachtet und abgehandelt werden. Allein die Vorbereitungsphase vor der Kampfphase dauert lange: Zuerst werden Ressourcen einkassiert, die Zauber des Angreifers neu arrangiert und gewirkt, Manöver zur Bewegung neuer und alter Einheiten getätigt - es dauert immer wieder eine ganze Weile, bis der nächste Kampf beginnt. Das passt thematisch super, da zwischen den Angriffswellen eben eine Menge passiert, aber der Verwaltungsaufwand ist dann doch enorm. Dagegen steuert aber immerhin eine hervorragende Mechanik: jedes Mal, wenn der Angreifer irgendetwas tut, erhält der Verteidiger entsprechend viele Sanduhren. Diese muss er sofort ausgeben, um weitere Vorbereitungen zu treffen. Das Ganze ist also ein ständiges Agieren und Reagieren, wie ich es noch in keinem anderen Spiel gesehen habe. Ein genialer Mechanismus, der aber wie bereits gesagt eine Menge Konzentration und Sitzfleisch fordert. Aufgrund des einzigartigen Settings und der hochinteraktiven Mechanik sollte "Stronghold Undead" eigentlich bleiben dürfen, aber da ich bezweifle, viele Mitspieler dafür zu haben, wird es wahrscheinlich wieder ausziehen.
Chris: 7 (wenn man voll im Spiel ist, ein überragendes Erlebnis. Bis dahin (und teilweise auch danach noch) allerdings eine äußerst zähe Angelegenheit mit beachtlicher Einstiegshürde für beide Spieler; der Spielfluss hakt leider an einigen Stellen)
Klemens: 7 (Heftiges Duell mit enorm vielen Möglichkeiten, definitiv etwas Besonderes, aber man muss schon extrem viel beachten, teilweise sehr kleinteilig und auch anstrengend)
"Stronghold Undead" entfesselt ein episches Duell zweier Spieler, die sich mit allem bekämpfen, was sie haben. Atmosphärisch großartig, spielerisch sehr herausfordernd und hoch interaktiv, leider aber auch mit beachtlicher Einstiegshürde und einem recht zähen Spielfluss.
Für Experten definitiv ein Erlebnis, allerdings ganz gewiss nicht für jeden etwas. Hier ist ausprobieren Pflicht.
Text: Chris