Ein schwerer Rucksack voller Erwartungshaltungen

Hype-Spiele sind so eine Sache. Je höher die Erwartungshaltung, desto schmerzhafter fühlt sich der Aufprall an, wenn das Spiel doch etwas anders ist als gedacht. Tapestry wandert auf gefährlichem Terrain, so suggeriert der Untertitel "A Civilization Game" natürlich eine thematisch wie spielerisch überzeugende Umsetzung des Aufbaus einer Zivilisation, mit allem was eben dazugehört bzw. man sich so darunter vorstellt. Wir alle wussten eigentlich, dass hier kein neues Through the Ages oder Clashs of Cultures ansteht und wer es noch nicht gewusst hat, der weiß es jetzt. Der Fokus liegt auf Zugänglichkeit, starker Optik und einem einfachen Spielablauf, der dennoch Spieltiefe bietet. Was Tapestry auszeichnet, woran es scheitert und wie wir es letztendlich finden, erfahrt Ihr im Folgenden.

 

Wie funktioniert das Spiel?

Der Spielablauf ist denkbar einfach. Entweder entscheidet man sich für neues Einkommen und damit den Beginn der nächsten Ära der eigenen Zivilisation, oder man schreitet auf einer der vier Fortschrittsleisten (Wissenschaft, Erkundung, Militär und Technologie) einen Schritt voran. Alle Schritte kosten Ressourcen, weswegen diese als elementare Aktionskatalysatoren fungieren, wodurch man seine Züge in der Regel möglichst lange zieht, bevor man wieder in die nächste von insgesamt vier Ären startet. Enorm wichtig sind zudem die Tapestry-Karten, welche Errungenschaften zu Beginn jeder neuen Ära in Form von unterschiedlichsten Vorteilen bedeuten. Des Weiteren lassen sich Technologien erforschen und weiterentwickeln, man kann die Welt erkundschaften und erobern sowie an der eigenen Hauptstadt bauen. Jeder Spieler verkörpert dabei eine von 16 unterschiedlichen Zivilisationen, deren Spezialfähigkeiten sich stark unterscheiden.

Was ist das Besondere an Tapestry?

Wer ein Spiel von Jamey Stegmaier kauft, bekommt für einen zugegebenermaßen hohen Preis ein qualitativ überragendes Brettspiel. Tapestry macht da keine Ausnahme - die vorbemalten Miniaturen sind grandios, das Design eine Augenweide und die Qualität (bis auf die Ressourcensteine aus Plastik) hervorragend. Spieltechnisch liefert Tapestry trotz seiner einfachen Regeln und Aktionen eine wirklich beachtliche Spieltiefe, die so nicht zu erwarten war. Die Wiederspielwert ist durch die vielen Tapestry- und Tech-Karten sowie den sechszehn asymmetrischen Völker sehr hoch.

Wie thematisch ist Tapestry?

Eine entscheidende Frage ist:

Kommt es beim Spieler rüber, dass man eine eigene Zivilisation aufbaut?

Wir sagen JA, denn durch die Völker, das Expandieren auf der Landkarte, das Erforschen von Technologien und den Tapestry-Karten hatten wir durchaus das Gefühl, etwas Eigenes zu erschaffen. Es gibt keine Definition eines "Zivilisationsspiels" und man kann dem Titel nicht vorwerfen, dass er nicht das ist, was ein Through the Ages ist, indem man ausblendet, worauf der spielerische Fokus des Spiels liegt.

Was nicht heißt, dass Tapestry in seiner thematischen Umsetzung vollends überzeugt. Die Errungenschaften auf den Einkommensleisten sind tatsächlich nur flavor text ohne jeglichen Bezug zu den Aktionen. Das Problem ist zudem auch eher, dass durch die Komprimiertheit der Aktionen automatisch ein sehr fokussiertes Kombinationsspiel im Kopf entsteht, das eine thematische Auseinandersetzung oftmals im Keim erstickt. Grundsätzlich finden wir aber, dass das thematische Gerüst von Tapestry für ein Spiel dieser Form recht gelungen ist. Es will gar kein episches Zivilisationsspiel sein, sondern ein Erlebnis der anderen Art.

 

Aber warum gibt es keine Reihenfolge, in der die Technologien erforscht werden?

Tapestry steht für Kreativität und nicht für Authentizität. Es ist erfrischend anders, dass man eben nicht einfach wieder beispielsweise die Ägypter spielt und das macht, was die Ägypter gemacht haben. Ich kann Nomaden spielen, die durch einen glücklichen Zufall das Zeitreisen erfinden, später den Nutzen einer Brille erkennen und anschließend das Klimagerät erforschen. Ganz ehrlich, das ist doch herrlich!

 

Wie viel Glück und wie viel Können steckt in Tapestry?

Das kluge Voranschreiten auf den Leisten erfordert im Hinblick auf die zahlreichen Aktionen und Boni, welche die einzelnen Felder bieten, eine gute Strategie. Das Timing der Tapestry-Karten kann ebenfalls eine Rolle spielen. Die Betonung liegt auf kann, denn die Tapestry-Karten bringen ohne Zweifel ein gehöriges Glückselement ins Spiel. Ja, man spielt in der Regel nur drei bis vier davon aus und man kommt auch zu mehr, damit man etwas Auswahl hat, allerdings sind diese Karten natürlich unterschiedlich stark. Bekommt man anfangs eine Karte, die zur Fähigkeit des eigenen Volkes oder zum bisherigen Plan passt, hat man einen gehörigen Vorteil. Es kam auch schon vor, dass ein Mitspieler fünf Tapestry-Karten erhalten hat, die ihm so überhaupt nicht weitergeholfen haben. Da muss man dann sagen, dass dies durchaus ein Grund zum Ärger sein kann.

Des Weiteren wird der grüne Wissenschaftswürfel nicht bei allen gut ankommen. Hier entscheidet ebenfalls der Zufall, auf welcher Leiste man voranschreiten darf. 

 

Sind die Völker unterschiedlich stark?

Nun ja, wir haben keine empirischen Daten und auch keine hundert Spiele hinter uns, allerdings können wir an dieser Stelle unsere Eindrücke schildern. Wir haben das Gefühl, dass es durchaus stärkere Völker gibt, aber das war ehrlich gesagt auch zu erwarten. Man muss sagen, dass die unterschiedlichen Fähigkeiten wirklich kreativ und originell umgesetzt wurden, Es gilt eben, das Beste daraus machen, alle haben gewisse Vorteile, die man ausnutzen kann. 

Wo es jedoch schwierig wird, ist, wenn Völker den Spieler dazu zwingen, gewisse Wege einzuschlagen. Bei der ohnehin überschaubaren Vielfalt an Aktionsoptionen, kann man hier mit Kartenpech schnell den Kürzeren ziehen und nicht mehr hinterherkommen.

 

Ist Tapestry ein "Leistenrennen"?

Darüber haben wir lange diskutiert und sind am Ende eher zu einem JA gekommen. Allerdings muss man ganz klar sagen, dass es ein wirklich hervorragendes Leistenrennen ist.  Die zentrale Spielmechanik spielt sich eben darauf ab, allerdings gibt es mit dem Hauptstadtplan, den Technologiekarten und dem Spielertableau durchaus noch Dinge, die daneben stattfinden und wichtig sind. 

  

Sind die Gebäude-Miniaturen nichts weiter als "überproduzierter Content"?

Im Auge des Ästheten natürlich nicht, spielerisch und auch atmosphärisch ganz klar: IN DIESER FORM LEIDER JA. Die phantastisch aussehenden Gebäude haben keinerlei Spezialfähigkeiten, zudem passen sie nicht 1:1 auf die Felder der Hauptstadtpläne. Bei einigen Teilen ist es sogar ziemlich schwer zu erkennen, wie viele Felder sie letztlich abdecken. Immerhin gibt es für alle Gebäude eine Abbildung, die alle Fragen diesbezüglich klären. Letztendlich wären schön illustrierte und exakt passende Pappteile vielleicht sogar die bessere Alternative gewesen. 

 

Ist das Bebauen des Hauptstadtplans sinnvoll und gelungen?

Sinnvoll durchaus, um zusätzliche Ressourcen zu generieren und auch Siegpunkte können damit gemacht werden, allerdings waren sich bei uns alle Spieler einig, dass Aufwand und Belohnung hier in keinerlei Verhältnis stehen. Dass sich das Ausfüllen der Zeilen und Spalten für je einen Siegpunkt lohnt, muss man schon gezielt darauf setzen und selbst dann wird es schwierig, da andere Aspekte deutlich effizienter sind. 

Wir kamen zu dem Fazit, dass dieses an Ein Fest für Odin erinnernde Puzzle-Element neben dem Zufall der Tapestry-Karten das größte Problem des Spiels ist. Nicht primär wegen der zu geringen Belohnung, sondern noch vielmehr deswegen, weil es dem Spiel nicht gut tut. Warum muss jeder höchst solitär auf seinem Plan mit diesen tollen Gebäuden herumpuzzeln? Wieso wurden die Gebäude nicht so integriert, dass sie auf den Spielplan kommen, im Optimalfall noch mit einem speziellen Nutzen. DAS wäre wirklich überzeugend gewesen und hätte unserer Meinung nach auch das Thema viel besser transportiert.

 

Nur mal aus Spaß - so fänden wir ein Tapestry-Spielfeld wesentlich atmosphärischer:

Wie sehr gefällt es uns? 

Tapestry hinterlässt bei uns ein wenig ratlose Gesichter. In Summe sind wir durchaus etwas enttäuscht, der Glücksfaktor ist im Hinblick auf die kompakte Konzeption der Spielmechanik ein wenig zu viel.

Während die thematische Umsetzung für uns soweit passt, ist es eher der Hauptstadtspielplan, der uns nicht überzeugt. Dieses Element fühlt sich ein wenig zu gewollt und konstruiert an. Das solitäre Puzzeln mit seinem schwachen Belohnungssystem passt nicht harmonisch zum Rest, die Gebäude sind verschenkt. 

Nichtsdestotrotz ist Tapestry ein gutes Spiel. Das geschickte Timing der Aktionen ist interessant und fordernd. Auch wenn es im Kern "nur" ein Leistenrennen mit einigen gelungenen und weniger gelungenen Nebenschauplätzen ist, macht das Spiel Spaß und sieht zudem natürlich hervorragend aus. Außerdem gefällt uns wie schon bei Everdell die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wann man eine Ära beendet und neues Einkommen generiert.

Es ist schade, dass die erste Ära immer relativ gleich abläuft, dafür wird man im Verlauf mit tollen Kombos und explodierenden Siegpunkten belohnt - sofern einem die Karten die Gelegenheit dazu geben. In Anbetracht der Spielzeit (mit vier Spieler ca. 2 1/2 Stunden) könnte das dem ein oder anderen sauer aufstoßen, denn wenn man aufgrund des Zufalls machtlos ist, leidet der Spielspaß signifikant. 

Wertungen

Chris: 7 (Thema kommt für mich rüber, das clevere Leistenrennen macht mir echt Spaß, aber in Summe hatte ich mehr erwartet. Die Gebäude sind verschenkt, teilweise auch etwas zu viel Glück mit im Spiel)

Sarina: 6 (Material top, Kernmechanismus top, Zufall bei den Karten und vor allem das Bauen der Hauptstadt absoluter Flopp, Spannung hält sich in Grenzen)

Eva: 6 (nettes Spiel, schöne Kombos möglich, aber es ist schon sehr davon abhängig, welche Karten man zieht)

Holger: 5 (bin enttäuscht, viel Glück dabei für das, was es ist; thematisch überzeugt es mich ebenfalls nicht)

FAZIT:

Tapestry wird dem Hype letztlich nicht gerecht. Die Spielidee ist besser als das eigentliche Spiel selbst. Nicht alles, was Jamey Stegmaier hier versucht miteinander zu kombinieren, ist harmonisch und überzeugend umgesetzt. Dennoch hat Tapestry seine Stärken: es sieht phänomenal gut aus und bietet ein cleveres, interessantes und originelles Kombinationsspiel und Wettrennen auf den vier Leisten. 

 

Für den Preis muss man sich jedoch ganz genau überlegen, was man hier bekommt. Wir geben gerne auch etwas mehr Geld für toll ausgestattete Spiele aus, wodurch oftmals wirklich eine Aufwertung des Spielerlebnisses mit einhergeht. Hier allerdings ist der Nutzen der Gebäudeminiaturen so dermaßen gering, sodass es unserer Meinung nach den Preis nicht wert ist. Man hätte so viel mehr daraus machen können. Schade!

 

Betrachtet man Thematik, Optik und Spielmechanik als harmonisches Ganzes, ist Tapestry nicht Stegmaiers bestes Spiel. 

 

Text: Chris