Es ist dann doch erstaunlich, dass immer wieder Workerplacement-Spiele das Licht der Brettspielwelt erblicken, die irgendetwas erfrischend anders machen als andere. So auch "Whistle Mountain", das mit seinem Vorgänger "Whistle Stop" so gut wie nichts mehr gemeinsam hat. Was zeichnet dieses Spiel aus? Ist es den doch recht happigen Preis wert?
Drumherum oder mitten rein
Über drei Luftschiffe verschiedener Größen verfügt jeder Spieler und setzt man eines davon in die Aktionsmulden um den Spielplan herum, findet erstmal klassisches Workerplacement statt. Jeder Slot kann ohne besondere Fähigkeit nur einmal besetzt und aktiviert werden. Hierbei lassen sich Werkstätten, Upgrades und neue Gerüste kaufen. Origineller wird es beim Einsetzen der Luftschiffe auf dem Spielplan, denn hier setzt man sein Luftschiff neben bereits gebaute Gerüste bzw. in Lücken hinein. Je nachdem, welche Symbole man damit ringsherum berührt, generiert man neue Ressourcen. Auch Werkstätten werden so aktiviert, sofern man mit einem Teil seines Luftschiffes diese tangiert. Auch auf Werkstätten direkt dürfen Luftschiffe platziert werden, allerdings darf das Vehikel hier nicht zu groß sein.
Zurück und dann steil nach oben
Alternativ kann oder muss man seine Luftschiffe wieder auf das Spieler-
tableau zurückholen. Damit macht man besetzte Aktionsslots oder Gebiete auf dem Spielfeld zwar für andere wieder frei, darf aber bis zu drei mal bauen (Gerüste und Werkstätte) und einen Arbeiter bewegen. Am lukrativsten ist es, wenn man mit Werkstätten eigene Arbeiter auf Gerüsten überbaut. Je nachdem, wie hoch Arbeiter auf Gerüsten stehen, werden sie nämlich nach rechts auf sicheres Terrain geschossen, was einerseits Punkte am Spielende bringt und zudem vor dem Ertrinken rettet. Vor dem Ertrinken? Ja, zumindest schwimmen sie - sofern überflutet - im Wasser umher und bringen eklige 5 Minuspunkte am Ende. Das Wasser steigt nämlich immer, sobald eine Werkstatt gebaut wurde, welche die aufgedruckte Brücke überragt. Zunächst wird das erstmal nicht passieren, da es zu Beginn genügend Baupotenzial unterhalb der Brücke gibt, doch sobald dieses mal erschöpft ist, steigt das Wasser schneller als man möchte. Da man beim Überbauen mit Werkstätten auch fremde Arbeiter in die sichere Punktezone katapultiert, entsteht ein nettes Taktieren. Stelle ich mich hier noch kurz dazu, weil der Mitspieler bestimmt gleich dort was baut? Mit dem richtigen Timing und etwas Gespür kann man sich so nette Zwischenpunkte verdienen. Glaubt man ganz vorne mitzuspielen, baut man natürlich vorrangig über die Brücke, um das Wasser steignn und somit das Spielende näherkommen zu lassen.
Fähigkeiten, Upgrades und noch mehr Upgrades
Was "Whistle Mountain" auszeichnet, ist seine immens hohe Variabilität und Modularität. Jeder Spieler beginnt erstmal mit einer krassen Startfähigkeit, die - ähnlich wie die in "Marco Polo" - die Grundmechanik aushebelt. Davon gibt es eine ganze Menge, dazu gesellen sich dann noch unzählige Upgrades, die man während des Spiels erwerben kann und mit denen weitere heftige Kombos abgefeuert und Vorteile verbucht werden können. Böse Zungen werfen dem Spiel hier Unbalanciertheit vor und tatsächlich können gewisse Kombinationen sehr mächtig werden, allerdings liegt genau das meiner Meinung nach in der Natur des Spiels, dagegen vorzugehen. Selbstverständlich muss man dann eben solche Kombos verhindern und auch mal in den sauren Apfel beißen, indem man seinen Zug umplant. Das Spiel lebt von dieser Möglichkeit, Fähigkeiten aus einer riesigen Auswahl zu kombinieren und sich so Vorteile zu verschaffen. Dies ist ein klares Kernelement des Spiels, somit ist es dann auch völlig in Ordnung, dass mehr oder weniger heftige Vorteile in die eine oder andere Richtung entstehen.
Das Element der Überflutung gefällt mir sowohl als Spielendebedingung als auch als Beeinflussung der Funktionalität. Werkstätten, die ins Wasser ragen, funktionieren nicht mehr und Arbeiter, die noch immer nicht aufs Gerüst nach oben gestellt werden, werden von den Fluten weggespült. Dieses Element fügt sich prima ins Spielgeschehen ein, macht Sinn und ist zudem ein kluges Mittel, die Spieler auf eine gewisse Weise zum Agieren zu zwingen.
Die Optik ist sicherlich Geschmacksache und wahrscheinlich nicht das stärkste Zugpferd von "Whistle Mountain", spielerisch bietet das Ganze aber eine originelle, taktisch herausfordernde Alternative im Workerplacement-Genre.
Chris: 8 (die Ressourcenbeschaffung ist originell und clever, die Überflutung ein hervorragend integriertes Element. Zum Highlight reicht es zwar nur knapp, aber definitiv einer der besten Workerplacer der letzten Zeit für mich)
Eva: 6 (Hat schon Spaß gemacht, allerdings hat es mich jetzt auch nicht begeistert. Einige coole Elemente, aber darüber hinaus nichts, was mich dazu bringen würde, das Spiel selbst vorzuschlagen)
Jasmin: 7 (überzeugendes Spiel mit guten Einfällen, am Ende aber gefühlt nicht mehr als ein originell verpacktes Workerplacementspiel, wie viele andere auch)
Interessanter Mix aus Puzzeln, Workerplacement und Ressourcen-Management, der durch seine hohe Varianz und spannende Mechanismen punktet. Ja, es können mitunter enorm starke Fähigkeits-Kombos entstehen, allerdings liegt darin auch zu einem Großteil die Essenz des Spiels. Eine gewöhnungsbedürftige Optik, ein hoher Preis und letztendlich auch ein schwaches Thema stehen dagegen. Dennoch ist "Whistle Mountain" ein wirklich gutes Spiel.
Text: Chris
19.07.2021