Verlag: Druid City Games  Autor: Tom & Ben Eisner   Spieldauer: 45-75 Min    Spieleranzahl: 2-5

Quacksalber mit Area Control - geht nicht? Geht doch! Und wie!

Ja was ist denn das schon wieder? Wie konnte ich als eingefleischter Tidal Blades - Fan das neueste Werk von Druid City Games auf Kickstarter verpassen? Nun ja, der Sekundärmarkt ist zuverlässig wie teuer - in diesem Fall hat es sich aber gelohnt. "Wonderland's War" hat bei uns echte Begeisterung ausgelöst und sich mit Leichtigkeit in die Riege der großartigsten Spiele überhaupt katapultiert. Die Gründe dafür lest Ihr im Folgenden.

Wahrhaftiges Wunderland

Tischpräsenz ist und wird ein immer wichtigerer Faktor und im Falle von "Wonderland's War" bekommt man hier nichts anderes als einen wahren Augenschmaus serviert. Artwork, Illustrationen und grundsätzliche Optik sind schlicht phänomenal, das Material zudem wertig und üppig, der Spielekarton unverschämt überdimensionert. Außerdem finde ich das Spielecover schon jetzt das wohl schönste der letzten Jahre, knapp dahinter gesellt sich bei mir übrigens das von Tidal Blades, ebenfalls von Druid City Games.

 

Aber ich will jetzt nicht lange über Cover und Bombastoptik sprechen, denn der eigentliche Star des Spiels ist tatsächlich die Spielmechanik. Dazu gleich mehr, an dieser Stelle noch ein Wort zum Setting des Spiels: Das Wunderland war jetzt bei den meisten meiner Mitspieler kein allzu geliebtes Thema, einige konnten dem sogar nichts abgewinnen. Letztendlich hat es aber selbst diese Mitspieler nach eigener Aussage überhaupt nicht gestört, denn so wirklich muss man sich mit dem Thema gar nicht auseinandersetzen. Das Grundgerüst ist gegeben, die Teeparty-Phase sogar ganz passend, allerdings erschließt sich uns jetzt nicht unbedingt, warum die Wunderlandianer einen titelgebenden "Krieg" führen. Letztendlich ist das eben halt der Aufhänger für die Area Control Mechanik, denn alle Spieler versuchen in jeder der drei Runden, die fünf unterschiedlichen Gebiete zu kontrollieren.


Teezeit! Einfach fantastisch!

Bevor es aber ans Eingemachte geht, steht zunächst zu Beginn jeder Runde eine Teezeit an. In dieser laufen wir mit unserer Charakterfigur im Uhrzeigersinn beliebig weit abwechselnd um den Tisch und krallen uns eine Karte. Diese Karten erweitern unseren Beutel mit neuen Chips, wovon es eine ganze Menge gibt. Außerdem darf man bei den meisten Karten auch eine unterschiedliche Anzahl an Meeples in eine der fünf Regionen stellen. Hinzu kommen Karten mit neuen Quests, Upgrades und Stärke für den Charakter und weitere Boni. Diese Teezeit geht solange, bis jeder seine vierte Karte genommen hat. Jetzt ist es aber so, dass die Auswahl natürlich stetig kleiner wird und man diese ohne Sonderfähigkeit nur wieder erhöhen kann, wenn man wieder am Tischende ankommt. Das ist einerseits natürlich super, da neue Karten für alle kommen, aber leider muss der Spieler dann auch - wie auch bei einigen Karten - den schwarzen Würfel werfen, der ein bis drei Scherben bringt. Wer hiervon die meisten am Ende der Teezeit hat, erhält gleich zwei Madness-Chips in seinen Beutel, alle anderen nur einen. Generell muss man sagen, dass bereits diese Kartenauswahl während der Teezeit-Phase super lustig und interessant ist. Gefühlt sind alle Karten gut, jede davon will man haben, man ist aber immer nur einmal dran, bevor alle anderen zuschnappen dürfen. Die Qual der Wahl fühlt sich hier einfach nur gut an. Verstärkt wird das dann, indem die Karten in den nächsten beiden Teezeiten auch noch signifikant besser werden. Herrlich!

 

Komm ... einen zieh ich noch!

Dann folgen die spannenden Gebietskämpfe. Vorher darf man noch seine Charakterfigur in eine beliebige Region stellen, auch erworbene Wunderlandianer - das sind weitere in der Teezeit erwerbbare Charaktere aus der Vorlage, die Sonderfähigkeiten und Stärke mit sich bringen - werden in die Gebiete gestellt. Anfangsstärken aller Beteiligten werden festgelegt und ... los geht's. Gemeinsam zieht man Quacksalber-typisch einen Chip aus dem Beutel und offenbart gemeinsam. Das macht man solange, bis ein Spieler entweder 25 Punkte erreicht und direkt das Gebiet gewinnt, nur noch einer dabei ist, da alle anderen mit leerer Hand ausgestiegen sind oder die Mitspieler rausgeflogen sind. Rausgeflogen? Ja genau, denn diese fiesen Madness Chips im Beutel sorgen dafür, dass man eine Figur aus dem aktuell umkämpften Gebiet entfernen muss. Daher bereitet man sich vorher mit dem Einsetzen der Meeples vor, denn sobald die letzte Figur aus dem Gebiet durch einen Madness-Chip verbannt wurde, verliert man alle bisher gewonnene Stärke und ist raus. Fiese, aber herrliche Sache. 

 

Ihr könnt Euch also sicher schon denken, was für einen Thrill diese Phase mit sich bringt. Wollt ihr dieses Gebiet unbedingt gewinnen? Tja, dann müsst ihr was riskieren. Dafür winken Siegpunkte und ein Schloss. Letzteres gibt für den Rest des Spiels in diesem Gebiet direkt zwei Stärke vorab und eventuell weitere Punkte am Spielende. Aber nicht nur der Sieg in den Gebieten zählt! Auch das Erfüllen von Quests lohnt sich und dafür muss man nicht gewinnen, sondern beispielsweise einen Gebietskampf mit exakt zwei oder sechs Chips beenden. Oder man muss aufhören, sobald man einen 1er Chip herausgezogen hat. Eine erfüllte Quest schaltet zudem immer eine weitere Möglichkeit frei, am Spielende Punkte für bestimmte Chips oder sonstige Dinge zu erhalten.

Die perfekte Spielspaß-Formel?

Was "Wonderland's War" so herausragend macht, sind die vielen kleinen Einzelteile, die sich perfekt ergänzen. Habe ich schon von der tollen Schmiede-Mechanik erzählt? Es ist nämlich so, dass man seine Chips - vorausgesetzt man hat Schmiede-Chips gezogen oder steht am Ende der Kampfrunde auf einem Schmiedefeld - auf seinem Charaktertableau "hineinschmieden" darf. Dadurch wird man Scherben los, erhöht seine Charakterstärke, erhält weitere Meeples oder sorgt dafür, dass seine Schlösser am Ende Siegpunkte bringen. Schmiedet man eine Reihe komplett, erhält man zudem einen recht guten Artefakt-Chip in den Beutel. Klingt cool, oder? Ist es auch. 

 

Hier stimmen einfach alle Kleinigkeiten, sodass wir hier ein unfassbar rundes Spiel haben, an dem wir nahezu keinerlei Kritikpunkte haben. Selbst wenn man gar nicht an einem Gebietskampf teilnimmt, da man dort keine Figur positioniert hat, wettet man mittels verdeckter Karte darauf, wer gewinnt. Tippt man richtig, darf man sich einen Chip aussuchen; verliert man, erhält man eine Scherbe. Man ist immer involviert und interessiert am Ausgang sämtlicher Kämpfe. So stell ich mir das vor und so macht das einfach einen Riesenspaß.

 

Hinzu kommt, dass alle Charaktere eine besondere Fähigkeit haben und weitere vier coole Fähigkeiten in beliebiger Reihenfolge freigeschaltet werden können. So geht Alice beispielsweise nicht im, sondern entgegen dem Uhrzeigersinn um den Tisch, die Herzkönigin darf Meeples in Gebiete aufteilen und der Jabberwocky vergiftet Karten in der Teezeit, die dann für andere Mitspieler zwar erwerbbar sind, aber auch einen weiteren Madness-Chip bedeuten. Des Weiteren gibt es eine riesige Menge Wunderlandianer, sodass kein Spiel dem anderen gleicht. Ebenso gibt es für die erwerbbaren Ally-Chips verschiedene Varianten, sodass sich die Fähigkeiten der Chips immer ändern. Enorm abwechslungsreich und einfallsreich. Kleines Beispiel: die Creatures-Chips haben bei Erwerb meist 1 Kampfstärke. Nach dem Kampf verwandeln sie sich in 5er Chips, dann wieder zurück in 1er. Oder die Rosen geben immer direkt einen Siegpunkt, wenn man sie einschmiedet noch mal zusätzlich zwei weitere. Es gibt wirklich enorm viele Chips und Fähigkeiten, die das Spiel bereichern und spannend machen, sodass ich hier nur Beifall klatschen kann für so viel Ideenreichtum. Einfach toll.

 

Was gibt´s zu meckern? Eigentlich nichts. Klar über den Preis muss man reden, auch über die Verfügbarkeit des Spiels. Man kommt jetzt wohl erstmal  nur sehr schwierig ran und zahlt drauf. Die Deluxe-Version ist allein schon wegen des perfekten Chip-Inlays ein Muss, auch die individuellen Beutel und die Custom Meeples sind super. Ob man die Plastik-Miniaturen braucht, sei jetzt mal dahingestellt. Unbemalt sicher nicht, da versprühen die hübschen Standees mehr Flair. Leider konnte ich die extra erhältlichen Plastikchips bislang noch nicht ergattern, die wären noch echt fein. Aber auch ohne ist die Materialqualität der Chips gut und liegt deutlich über Quacksalber-Qualität. 

 

Die Spielzeit betrug bei uns zu dritt immer etwa 2 Stunden, zu viert ein klein wenig mehr. Die angegebenen 45 - 75 Minuten erachten wir daher für eher irreführend, "Wonderland`s War" ist dann doch eher ein abendfüllendes Spiel. Übrigens finden wir, dass der Spielspaß noch weiter steigt, je mehr Mitspieler mitspielen. Zu viert fanden wir es am besten, zu fünft haben wir es leider noch nicht gespielt. Doch selbst zu zweit funktioniert es prima, da die Gebiete reduziert werden und die Rückseite der Charaktertableaus für die 2-Spieler-Variante ausgelegt ist.

 

Mal ein eindringlicher Appell an die Spieleschmiede: Bringt verdammt nochmal dieses Spiel auf Deutsch heraus! 

 

Wertungen

Chris: fantastische und ungewöhnliche Mischung aus Push your Luck und Area Control, tolle Tischpräsenz, macht mir unfassbar viel Spaß

Sarina: Quacksalber mochte ich sehr, Wonderlands War finde ich noch eine ganze Ecke besser, großartige Optik, super interaktiv und einfach total cool

Holger: Hat mich völlig überrascht, ich mag Quacksalber, das hier ordnet sich eher im gehobenen Kennerspielgerne ein und macht hier eigentlich alles richtig

Klemens: herrlich fies und super witzig, großartiges Spiel, bei dem ich in jeder Sekunde voll dabei bin


FAZIT:

Was für ein Überraschungshit! "Wonderland's War" hat bei uns voll eingeschlagen und überzeugt mit einer hochinteraktiven Mischung aus Quacksalber´schem Push your Luck und knallhartem Area Control. Optisch großartig und gespickt mit vielen cleveren Einfällen, die einem ständig bedeutsame Entscheidungen abverlangen. Einfach purer Spaß mit einem großartigen Spiel, das nahezu alles richtig macht.

 

Text: Chris

19.10.2021