Verlag: dlp games Spieldauer: 90 Min Spieleranzahl: 2-4
Besser spät als nie! Jahrelang fristete "Yokohama" ein trostloses Schattendasein in meinem Spieleregal. In der hintersten Ecke meiner Euro-Spiele lag es versteckt, wollte immer mal gespielt werden, letztendlich kam es nie auf den Tisch und wurde ungeöffnet verkauft. Das sehr triste und sogar eher abschreckende Design hatte mich wohl immer davon abgehalten, es auf den Tisch zu bringen. Nun blieb mir keine Wahl, denn Eva wünschte sich ihr eigenes "Yokohama" und somit war es dann endlich so weit.
Paradies für Optimierer
Die Regeln von "Yokohama" sind extrem schnell erklärt: zuerst setzt man zwei bis drei Assistenten auf beliebige Gebiete, anschließend bewegt man seinen Präsidenten. Dieser darf aber nur über Felder mit eigenen Assistenten laufen und letztendlich auf einem Ort stehenbleiben. Je mehr eigene Assistenten man dort hat, desto stärker ist die Ortsaktion. Nach der
Aktion müssen alle Assistenten dieses Felder jedoch wieder in den Vorrat zurückgestellt werden, sodass man stets die Qual der Wahl hat, welche Wege man über die modular zusammengebauten Gebietsteile man für den Präsidenten "freischaltet" oder ob man lieber Orte weiter verstärkt. Man sammelt und Tauscht hierbei Waren, besorgt sich Technologien, kauft sich weitere Assistenten, Geschäfte oder Handelshäuser. Gebäude darf man immer bauen, sofern man eine Ortsaktion der Stärke 4 oder mehr macht - vorausgesetzt, man hat noch Gebäude aktuell im Vorrat. Alles gibt irgendwie irgendwo Siegpunkte, natürlich gibt es auch noch Set-Collection mittels Länderflaggen auf Karten sowie diverse Mehrheitenwertungen und Einmal-Boni für den Schnellsten.
Wenig Downtime, trotzdem Grübelpotenzial
Spielerisch zeigt sich "Yokohama" für einen Euro-Optimierer erfreulich flüssig, die Aktionen gehen schnell und in der Regel muss niemand lange warten. Man kann seine Züge größtenteils gut vorher planen. Eingeschränkt wird man lediglich etwas in der Bewegung, denn für besetzte Gebiete mit fremden Präsidenten muss man 1 Yen an den Mitspieler zahlen, egal ob man dort nur kurz vorbei möchte oder einen Assistenten platziert. Selbstverständlich kommt es auch vor, dass einem Karten oder Plättchen vor der Nase weggeschnappt werden, aber das liegt natürlich in der Natur der Sache und gehört dazu. Darüber hinaus lässt sich aber bereits vieles im Vorfeld planen, sodass eine Partie zu dritt recht flott in etwas über zwei Stunden gut machbar ist. Das gefällt mir ausgesprochen gut. In "Yokohama" gibt es auch ganze fünf Möglichkeiten, wie das Spiel enden kann, sodass die Spielzeit tatsächlich jedes Mal ähnlich ausfällt.
Der interessanteste spielmechanische Kniff ist die Stärke der Ortsaktionen in Abhängigkeit der eigenen Assistenten und Gebäuden vor Ort. Auch dass alle Assistenten danach wieder in den Vorrat müssen, sorgt dafür, dass man ständig gut überlegt, welche Aktion wann Sinn macht und woraus man die meisten Vorteile ziehen kann. Dies erfordert einen guten Rundumblick, denn neben den ganzen Orten, Leisten und Plättchen muss man auch immer die gerade ausliegenden Technologien, Auftragskarten und natürlich auch die Flaggen berücksichtigen. Wenn ein Spiel also trotz einfacher Züge eine so tolle Spieltiefe bietet, ist das erstmal fast immer ein sehr gutes Qualitätsmerkmal. "Yokohama" ist durch die enorme Modularität immer ein bisschen anders und für mich jedes Mal spielerisch reizvoll.
Bezüglich der Spieleranzahl muss man sagen, dass "Yokohama" sehr gut skaliert. Dennoch würde ich es vor allem zu zweit oder zu dritt wieder spielen. Mit vier Spielern wartet man trotz der relativ schnellen Züge einen Tick zu lange.
Das Spielmaterial geht in Ordnung, allerdings sind die Gebäude- und Ressourcenplättchen sowie die Assistenten in Form von schlichten Würfeln ganz sicher weder haptisch noch optisch sonderlich ansprechend. Funktional trifft es da eher, es gibt wohl auch noch eine etwas wertigere Deluxe-Ausgabe, die wir aber nicht vorliegen hatten.
Insgesamt hat mir "Yokohama" also ziemlich gut gefallen. Letztendlich merkt man dem Spiel aber auch an allen Ecken und Enden an, dass hier ziemlich viel hineingebastelt wurde. Der Zug- und Aktionsmechanismus ist prima, aber darüber hinaus ist das für mich dennoch ein recht trockener Optimierspaß mit einer Überfülle an Boni und Möglichkeiten. Das sorgt dann am Ende des Tages dafür, dass der Reiz nach noch etwas mehr Punkten nicht ganz so groß ist wie in anderen Spielen. Mit etwas mehr Flair und Geradlinigkeit würde ich es wohl öfter spielen wollen.
Will ich es wieder besitzen? Ja, glaube schon. Aber nicht für den aktuellen Preis von über 60€ auf dem Sekundärmarkt. Für 30-40€ würde ich bestimmt wieder zuschlagen, mehr ist mir das Ganze aber dann eher nicht wert.
Chris: 7 (wirklich schönes Eurospiel, tatsächlich erinnert vieles an Istanbul, hat mir Spaß gemacht, aber es hat mich jetzt nicht begeistert. Würde ich aber jederzeit wieder mitspielen)
Eva: 8,5 (Voll mein Spiel, super Mechanik, viele Möglichkeiten, schöne Variation)
Stefan: 7 (gelungenes Spiel mit wenig Downtime)
Optimierfreunde werden mit "Yokohama" ordentlich gefüttert. Das Spiel bietet durch die enorme Modularität und die vielen Karten immer leicht veränderte Herausforderungen; gleichzeitig punktet es mit flotten, reibungslosen Spielzügen. Thematisch kommt da nicht viel rüber und auch optisch ist das alles ziemlich stimmungsfrei, aber hier liegt der Reiz ganz klar im spielmechanischen Kern. Spaß hatten wir alle dabei, ein wirklich gutes Spiel.
Text: Chris
25.01.2022