Legacy-Spiele erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Während das kooperative "Pandemic Legacy" bereits die zweite Season eingeläutet hat, bietet Charterstone kompetitives Workerplacement mitsamt einer sich entwickelnden Geschichte und einem individuell entstehenden Spielplan. Jamie Stegmaier, der Macher von "Scythe" und "Viticulture", will so ein einzigartiges Erlebnis bieten.
Auch Inka und Markus Brand, Schöpfer der tollen und äußerst beliebten "Exit"-Reihe (Kosmos), haben sich an ein Legacy-Spiel gewagt und präsentieren nun ihr "The Rise of Queensdale". Sie versprechen um die 18-26 spannende Partien, zudem soll das Spiel in allen Spielerzahlen gleich gut funktionieren.
Ob und wie das alles bei uns funktioniert hat, lest Ihr in unserem mehrteiligen Special.
TEIL 1 - SPIELMATERIAL
Ein schöner Spielplan macht gleich schon mal etwas her. Hier muss man allerdings sagen, dass beide Pläne keine Bäume ausreißen. Der von Charterstone fühlt sich wertiger an und ist durch den cleanen Look übersichtlicher, im Gegensatz dazu gefällt uns Queensdale jedoch einen Tick besser, da hier die vier Landschaftsabschnitte recht schön durch einen Fluss abgetrennt werden und alles irgendwie stimmiger wirkt. Atmosphärisch punktet hier also Queensdale mehr, haptisch und qualitativ eher Charterstone.
Was das restliche Spielmaterial angeht setzt sich Charterstone doch recht deutlich ab. Die Aufbewahrung in verschiedenen Boxen, allen voran die perfekt sortierte Index-Box mit den hochwertigen Karten, ist fabelhaft. Auch die Spielsteine sind vielfältiger, origineller und wertiger, die Aufkleber exzellent. Queensdale bietet zwar massig Material (das meiste davon in Stanzbögen und auf Klebefolien), allerdings ist das alles qualitativ eine ganze Spur schlechter. Das fängt schon bei den Tableaus an, die zwar dick genug sind, sich haptisch aber nicht sonderlich gut anfühlen. In die Spielertableaus passen beispielsweise neue Epochenzielkärtchen, die man eigentlich einklipsen sollte, nicht wirklich in die vorgesehene Ausstanzung hinein. Kein großes Problem, aber doch irgendwie unverständlich und unschön. Die Karten sind okay, die Aufbewahrung zwischen den einzelnen Spielsessions erfolgt in Ziptüten und die Spielplättchen Brot, Geld und Stimmungsmarker sind leider richtig enttäuschend - extrem dünn, unhandlich und alles andere als gelungen. Immerhin sind die Ressourcensteine (Holz, Lehm und Stein) aus Holz, wir haben diese aber auch sofort durch schönere Pendants aus der Treasure Chest von Stonemaier Games ausgetauscht. Die Kräuterplättchen sind zweckdienlich, aber auch hier hätte man mit schönerem Material noch deutlich mehr herausholen können. Das Auge isst eben mit und wir finden es immer schade, wenn gute Spiele (und das könnte ja auch für Queensdale gelten) mit schwachem Spielmaterial nicht das bestmögliche Erlebnis bieten.
Hinsichtlich der Anleitung und dem Regelheft hat allerdings Queensdale ganz klar die Nase vorn, da hier alles wesentlich strukturierter, kompakter und damit übersichtlicher ist als bei Charterstone, auch wenn man einzelne Sticker schon einmal auf den zahlreichen Bögen suchen muss. Aber auch hierfür gibt es eine übersichtliche Liste ... man muss nur wissen, wo die jetzt gerade wieder liegt.
+ gutes, übersichtliches Regelheft
+ atmosphärischeres Spielfeld
+ nett illustriert (tolles Cover!)
+ Materialumfang enorm
- Tableaus fühlen sich etwas billig an
- viele Marker (Brot, Geld, Stimmung ...) ziemlich
dünn und sehr unhandlich
- Aufbewahrung nicht optimal gelöst
- Spielmaterial in Summe eher
enttäuschend
+ sehr gute Karten inkl. Sticker
+ Aufbewahrung super gelöst mit zahlreichen
Boxen
+ übersichtlicher Spielplan
+ tolle und originelle Spielsteine aus Holz
- Illustrationen und Look sehr "clean"
(Geschmacksache, uns gefällt es weniger)
- chaotisches Regelheft
TEIL 2 - SETTING / ATMOSPHÄRE
In Charterstone liegt es an uns, das Grüne Tal des Königs der Ewigen Stadt zu erweitern und zum Ruhm zu führen. Wir bauen unser Charter aus, öffnen Überraschungskisten und geben Helfern Namen. Atmosphärisch ist das, auch unter der Betrachtung des "cleanen" Materials, nicht wirklich berauschend. Die Texte werden auf faden Klebekarten präsentiert und versprühen leider absolut keinen Flair.
Das macht The Rise of Queensdale eine ganze Spur besser: ein recht idyllisches Land als Spielfeld, Kräutersammeln, Wahrsager-Karten mit geheimnisvollen, nützlichen Botschaften und thematisch eingebundene Helferfiguren, Boten und Ereignisse. Zudem ist alles wesentlich schöner und origineller illustriert, so dass Queensdale hier klar als Sieger hervorgeht.
Nun komme ich zu dem Teil, über den man bei einem Legacy-Spiel am wenigsten reden darf, wenn man spoilerfrei berichten möchte - der Story. Im Falle von Charterstone ist diese leider nicht der Rede wert. Ich gehe noch einen Schritt weiter und behaupte mal ganz frech, dass hierfür so gut wie überhaupt kein Gehirnschmalz eingeflossen ist. Die Geschichte um den Ewigen König ist hanebüchen und hat uns zu keiner Zeit gefesselt oder gut unterhalten. Sie ist schlicht langweilig, uninspiriert und nicht der Rede wert. Für ein Legacy-Spiel ist das äußerst enttäuschend.
Macht Rise of The Queensdale das denn besser? Die Frage lässt sich glücklicherweise mit einem "Ja" beantworten, allerdings gibt es auch hier einige Aspekte, die störend und nicht wirklich gut umgesetzt sind. Zu Beginn gibt es Storyfetzen, größtenteils sehr vage und grob umrissen, aber sie sind immerhin da. Leider verschwindet die Geschichte dann recht zügig und vor allem lange von der Bildfläche, bis wieder etwas in die Richtung kommt. Das fühlt sich komisch und ebenfalls recht unbefriedigend an. Grundlegend haben die Autoren hier allerdings zumindest versucht, immer wieder durch stimmungsvolle und passende Erzähltexte Stimmung zu erzeugen und neues Spielmaterial einzuleiten.
Summa summarum weisen beide Spiele Defizite im Bereich ihrer erzählten Geschichte auf, wobei Charterstone eine solche eigentlich gar nicht zu bieten hat. Rise of Queensdale überzeugt atmosphärisch mehr, Spannung oder Emotionen bleiben allerdings auch hier auf der Strecke. Diesbezüglich enttäuschen beide Spiele auf ganzer Linie.
TEIL 3 - SPIELMECHANIK
Charterstone: Kampagne zu viert gespielt
Charterstone ist grundlegend ein recht eingängiges Spiel, dessen Mechanik man schnell verinnerlicht hat. Man setzt seine zwei Arbeiter auf ein freies Feld, führt dessen Aktion aus und hofft, dass ein Mitspieler eine der eigenen Figuren verdrängt, da man so nochmal dran ist. Hat man nämlich beide Figuren eingesetzt, muss man sie zurücknehmen und kann sonst nichts mehr tun. Man spielt gemütlich so vor sich hin, erweitert seinen Charter, öffnet Überraschungskisten, sammelt Rohstoffe, tauscht diese gegen Siegpunkte etc., so gesehen also klassische Workerplacementkost. Im Laufe der Kampagne kommen bessere Gebäude und unterschiedlichste Helferfiguren ins Spiel, einige Tücken und Hindernisse erschweren das Treiben ein wenig, letztendlich ist es aber bis zum bitteren Ende dasselbe. Keines der erweiterten Spielelemente bringt wirklich Pepp ins Spiel, bereits im dritten Spiel hat sich alles dermaßen repetitiv angefühlt, dass die Motivation weiterzuspielen rapide sank. Ja gut ... das Kistenöffnen war anfangs noch etwas Neues und durchaus spannend, jedoch gab es selten wirklich Überraschendes, weswegen auch das kaum noch wirklich für Emotionen sorgen konnte. Man spielt wirklich seinen Stiefel runter, schaut den anderen zu und kann enorm wenig beeinflussen bzw. mit den anderen in irgendeiner interessanten Form interagieren. Spielmechanisch hat uns Charterstone also leider nicht wirklich gut gefallen.
The Rise of Queensdale: Kampagne zu zweit gespielt
Bei The Rise of Queensdale sieht die Sache Gott sei Dank besser aus, das will ich bereits an dieser Stelle schon verraten. Auch hier schleicht sich recht schnell eine nicht wegzuredende Monotonie ein, da das grundlegende Spielprinzip (man würfelt seine fünf Würfel und setzt diese bestmöglich ein) sich immer wieder wiederholt. Dennoch haben es Inga und Markus Brand hier geschafft, ein gewisses Maß an Abwechslung mit hineinzubringen, das uns bei der Stange gehalten hat. Das liegt zum Einen daran, dass genau diese repetitive Spielmechanik an sich bereits spannender und interessanter ist als die von Charterstone. Man sammelt natürlich wieder Rohstoffe und gibt diese zum Bau von Gebäuden aus, des Weiteren errichtet man aber bestimmte Kräuterhütten und kann dann die passenden Kräuter aufsammeln (auf der Rückseite gibt es Siegpunkte, Rohstoffe, ein Treffen mit der Wahrsagerin, etc. ). Man erhöht seine Stimmung, produziert mit seinen Gebäuden, man kann Sachen lagern, Helferfiguren aus dem Beutel ziehen (sehr schöne Idee, jedes Mal irgendwie spannend), mit denen man Boni erhält. All das macht deutlich mehr Spaß als das stupide Figureneinsetzen bei Charterstone. Hinzu kommt - und jetzt sind wir beim wichtigsten Teil - dass eben jene Aktionen geschickt mit diversen Veränderungen im Lauf der Kampagne verändert werden und man durch den Krämerladen selbstbestimmte Würfelmodifikationen für erhaltene Siegel kaufen kann. Dies ist ein wenentlicher Punkt dafür, weshalb sich die Queensdale-Spielmechanik für uns deutlich besser anfühlt, da man gezielt eigene Strategien ausprobieren und verfolgen kann, mitsamt einiger interessanter und origineller Kniffe. Die Komplexität steigt auf gutes Kennerspiel-Niveau. An dieser Stelle möchte ich aber auch noch erwähnen, dass die Vorbereitungs- und Nachbereitungszeit zwischen den einzelnen Spielen stellenweise sehr lang sein kann (10-25 Minuten, im Verlauf abnehmend), was bei einer Spielzeit von 30-50 Minuten pro Partie doch erheblich ist. Ständig muss man Material entsorgen und neue Sticker und Plättchen in der Spielebox finden, was manchmal chaotisch werden kann und gar nicht so einfach ist. Das Spiel erinnert außerdem an Phase 10, da jeder Spieler sein ganz eigenes Epochenziel erreichen muss und eine Partie endet, sobald dies geschafft wurde. Ich bin mir relativ sicher, dass Inga und Markus Brand den kleinen Karten-Klassiker bei der Konzeption ihres Legacy-Spiels im Kopf hatten. Phase 10 spiel ich nicht gerne, Queensdale allerdings hat mir gefallen.
+ sehr solide Kernmechanik
+ teilweise originelle und schöne Entwicklung
bestimmter Spielaspekte
+ Würfelverbesserungen im Krämerladen gut
gelöst und interessant, mit Überraschungen
+ motivierende Aufholboni für zurückliegende
Spieler
- Kernmechnik "legacybedingt" monoton
- Interaktion könnte noch höher sein (ist aber
teilweise vorhanden)
- hoher Vorbereitungs- und
Nachbereitungsaufwand
+ interessante Helferfiguren
+ Kistenöffnen mit leeren Bauplatz-Karten
prinzipiell eine nette Idee
- Spielmechanik recht öde und extrem repetitiv
- im Verlauf der Kampagne steigt zwar die
Komplexität, aber es bleibt unoriginell
- wenig bis gar keine Interaktion
- einige Aktionen ziemlich einfallslos
und nicht greifbar (z.B. Wolkenhafen)
- unspannende Jagd nach Siegpunkten
Chris: 7 mit Tendenz zur 6
Mein Résumé: Legacy-Spiele kranken weiterhin an der Problematik, recht schnell äußerst repetitiv zu werden. Das Problem hierbei ist, dass es meist auf Familienspiel-Niveau losgeht und dann am Ende auf gutem Kennerspiel-Niveau endet, sich bis dahin allerdings einfach eine leichte Sättigung einstellt. Charterstone scheitert an diesem Problem sehr deutlich, da es das Spiel nicht schafft, die Neuerungen, die im Laufe der Kampagne dazukommen, interessant und motivierend genug zu gestalten. The Rise of Queensdale ist in diesem Punkt der klare Sieger und punktet mit einer grundsoliden Kernmechanik, die nicht langweilt, und genügend frischer Ideen. Aber auch hier fehlt es etwas an Spannung und noch mehr "Aha"-Momenten, die eine Legacy-Kampagne unserer Meinung nach bieten müsste.
TEIL 4 - SPIELSPAß
ENDWERTUNG
The Rise of Queensdale entscheidet das Legacy-Duell klar für sich. Bis auf das Spielmaterial in jeder Hinsicht besser, dennoch bleibt Luft nach oben für zukünftige Legacy-Spiele. Hinsichtlich Spannung und Emotionen sowie einer wirklich interessanten Geschichte enttäuschen beide Spiele, auch wenn Queensdale hier gute Ansätze beweist.
Text: Chris
jJQaBOcg (Montag, 19 September 2022 10:23)
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jJQaBOcg (Montag, 19 September 2022 07:07)
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